Katalog
37 6 Humpen mit einer Badeszene Werkstatt des Leonhard Kern (1588–1662) Schwäbisch Hall, zwischen 1640 und 1645 Fassung und Deckelfigur: Martin Borisch (1583–1649) Dresden, vor 1649 Elfenbein, vergoldetes Silber, Bekrönungsfigur: Weißsilber H.: 33,2 cm Grünes Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. II 22 Literatur: Möller 1988 , S. 73 f. mit Anm. 5; Syndram/ Kappel/Weinhold 2006 , S. 60; Kappel 2012 , S. 215; Trusted 2013 , Kat.-Nr. 26; Kappel 2017 , Kat.-Nr. II.2 (mit weiterführender Literatur). Sogenannte gemischte Badestuben, zu denen Männer und Frauen Zutritt hatten, waren seit dem Mittelalter ein beliebter Ort erotischer Geselligkeit. Badeszenen boten die Möglichkeit, nackte Körper ohne legitimierende mythologische Einbindung und nur bedingt moralisie- rend in einer unerschöpflichen Vielfalt an Posen künst- lerisch darzustellen. Kupferstiche und Drucke, die zum Vorlagenbestand eines jeden Künstlerateliers gehörten, lieferten immer wieder Anregungen zu diesem Thema (Kat.-Nr. 7–9). Die elfenbeinerne Wandung des Prunkhumpens zeigt eine illustre, allerdings etwas steif agierende Badegesell schaft : Nicht durch Blickkontakte, aber durch flüchtig erscheinende Berührungen und Fingerzeige nehmen die Personen aufeinander Bezug. Die Frauen sind von wohl- beleibter Statur mit üppiger Bauchpartie und eher klei- nen Brüsten. Ihr Erscheinungsbild entspricht ganz dem Stil, den Leonhard Kern geprägt hat und der für seine Werkstatt wie für seine Nachfolger und Nachahmer be- stimmend blieb. Das Elfenbeinrelief des Dresdner Hum- pens bleibt zwar in der Reihung der Figuren additiv und im Detail schematisierend, doch es zeigen sich motivi- sche Übereinstimmungen mit eigenhändigen Arbeiten Leonhard Kerns wie etwa der Badeszene auf einer un gefassten Humpenwandung in Wien (Kunsthistorisches Museum, Kunstkammer). Auch dort erkennt man die Szene der Haarwaschung, den wasserspeienden Knaben, die balancierende Haltung der Akteure und eine sorg- fältige Darstellung von Mauerwerk, Draperie und Haar schmuck. Schon bald nach ihrer Fertigstellung muss die Badeszene aus der Kern-Werkstatt nach Dresden gekommen sein. Erst hier ›verwandelte‹ Martin Borisch die Elfenbein arbeit in einen Humpen von schlichter Eleganz. Er plat- zierte auf dem Deckel die kleine, aus Silber gegossene Figur einer Badenden und interpretierte damit auf seine Weise die in Elfenbein geschnittene Darstellung. Es kann vermutet werden, dass diese Arbeit in der Summe von »111f 9g 9d« enthalten war, die 1653 des »gewesenen Hoffe Goldtschmiedts Martin Porischenns Wittiben […] vor einzelln gelieferte Goldtschmiedtsarbeit« nach dem Tod ihres Mannes (1649) noch zu fordern hatte und die »nach und nach bezahlet werden« sollte (zitiert nach: Kappel 2017, S. 178). Borisch stand in besonderer Gunst von Kurfürstin Magdalena Sibylla (1586–1659), einer begeisterten Sammlerin, die eine eigene Kunstkammer besaß. Dass Borisch mit der Verarbeitung exotischer Naturmaterialien durchaus vertraut gewesen ist, be- zeugt auch eine von ihm gefasste Seemuschel im Grünen Gewölbe (Inv.-Nr. III 263). Jutta Kappel/Dresden
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1