Katalog
72 26 Venus mit Spiegel (Prudentia) wohl Christoph Abraham Walther (um 1625–1680) Dresden, um 1665–1670 Elfenbein, Spiegelglas, Sockel: Holz H.: 30,1 cm (mit Plinthe und Spiegel) Grünes Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. II 335 27 Venus mit Spiegel (Prudentia) Ernst Hassebrauk (1905–1974) Dresden 1958/59 Tempera und Farbkreiden über Bleistift H.: 53,3 cm; B.: 38 cm Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. C 1988-795 Literatur: Schade 1967 , S. 325 ff.; Rasmussen 1977 , Kat.-Nr. 94–97; Theuerkauff 1987 (Barthel) , S. 110 f.; Dresden 1988 , Kat.-Nr. F.13 e; Malgouyres 2010 , Kat.-Nr. 29; Kappel 2017 , Kat.-Nr. II.8 (mit weiter führender Literatur). Die elfenbeinerne Venus mit Spiegel ist weich und ana- tomisch exakt modelliert; ihr Haar aufgesteckt und mit einem Diadem geschmückt. Eine Perlenkette mit Anhän- ger ziert den Hals. Der stabförmige Griff des Spiegels sitzt passgenau in der linken Hand, kann jedoch nach Belieben um seine eigene Achse gedreht und sogar ent- nommen werden. Dies sind aber keine infrage kommen- den Optionen, denn das elfenbeinerne Antlitz soll, und darin liegt der besondere Reiz, als Spiegelbild erschei- nen, das der Betrachter des Kunstwerks ebenfalls sehen kann, wenn er der Statuette über die Schultern schaut. Die attraktiv gestaltete Aktfigur verweist auf die soge- gannte Toilette der Venus . Der Spiegel und das darin sichtbare Antlitz der Göttin spielen hier eine entschei- dende Rolle. Denn die Spiegelung ermöglicht Selbster- kenntnis im Sinne von Prudentia (Wahrheit), die Selbst- verliebtheit in die eigene Schönheit und Jugend impli- ziert. Wie die elfenbeinerne Venus hält auch die Bronze statuette einer nackten Schwarzafrikanerin hoch erho- ben einen Spiegel in der Hand, in dem sie sich betrach- tet (Kat.-Nr. 28). Die Elfenbeinstatuette wurde lange Zeit mit Melchior Barthel in Verbindung gebracht (Kat.-Nr. 24, 25). Doch die Einordnung der Statuette in dessen Werk ist aus stilistischen Gründen nicht möglich. Sehr viel mehr kann dessen Landsmann Christoph Abraham Walther als Schöpfer in Betracht gezogen werden. Trotz unter- schiedlicher Lebensläufe teilten beide Bildhauer prä- gende Erfahrungen auf dem Gebiet der Elfenbeinschnitz- kunst, die sie bei David Heschler in Ulm sammeln konn- ten (Kat.-Nr. 23). Walthers Zeichnungen aus den Jahren 1653, 1663 und 1669 könnten vielleicht auch als Ent- würfe für oder als Nachzeichnung von Elfenbeinstatuet- ten betrachtet werden. Darf man sich Christoph Abra- ham Walther als einen Bildhauer vorstellen, der ähnlich wie Barthel und andere seiner Künstlerkollegen sowohl in überlebensgroßen Dimensionen als auch im Kleinfor- mat unter Verwendung verschiedener Materialien gear- beitet hat? Das an ein antikes Fragment erinnernde, mit »C.A.W.B. 1665« bezeichnete Frauenköpfchen aus Mar- mor (Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe) liefert den Nachweis für Walthers kleinplastisches Schaffen in Dresden. Eine expressive, in kräftiger Linienführung ausgeführte Zeichnung von Ernst Hassebrauk zeigt die Statuette der Venus mit Spiegel in Rückenansicht vor einem leuchtend roten Hintergrund. Der Künstler verlieh der Aktfigur eine neu interpretierte ›Existenz‹ (Kat.-Nr. 27). Hasse- brauk zeichnete zahlreiche Werke des Grünen Gewölbes, mitunter auch zu Gruppen aufgestellt, unmittelbar nach deren Rückkehr aus der damaligen Sowjetunion 1958. Eine besondere Affinität besaß Hassebrauk zu bizarren Formbildungen und kontrastreicher, teils dramatisieren- der Farbigkeit. Jutta Kappel/Dresden Kat. 28 ®
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