Katalog

154 Kat.-Nr. 8 Antonio Baratti Belluno 1724–1787 Venedig Madonna mit Kind sowie den Heiligen Johannes der Täufer und Hieronymus Radierung, 487 × 235 mm Inschrift: »Paulo Veronese. Inv. – Antonio Baratti scol.« Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 95595 Literatur: Holt 1991, S. 177–209; Humfrey/Holt 1995, S. 196–205; De Maria 2010, S. 81–85; Ausst.-Kat. Bassano del Grappa 2014/15, S. 65. Der Stich zeigt ein heute verlorenes Altargemälde, das Ve- ronese vermutlich zwischen 1560 und 1562 für die Privat­ kapelle der Familie Cuccina in der Sakristei der veneziani- schen Franziskanerklosterkirche San Francesco della Vigna anfertigte (siehe S. 29, Abb. 4). 1 Auftraggeber waren Giro- lamo und Zuanne Cuccina, die am 15. Dezember 1559 die Familienkapelle erworben hatten (vgl. S. 29). Dargestellt ist Maria mit Kind, die – begleitet von zwei musizierenden Engeln und Putten – auf Wolken thront. Unter ihr knien Hieronymus und Johannes der Täufer mit ihren Attributen, dem Löwen und dem Lamm. Die beiden Heiligen sind die Namenspatrone der beiden Auftraggeber des Altarblattes, Girolamo und Zuanne Cuccina. Mit ihren Gesten verweisen sie auf den Altarraum und fungieren somit als Vermittler zwischen Christus, der Muttergottes und den Mitgliedern der Familie Cuccina, die man sich vor dem Altar versammelt vorzustellen hat. In dem Knaben, der dem heiligen Hieronymus die Bibel hält, ist sehr wahr- scheinlich Andrea, der im Sommer 1572 verstorbene Sohn von Alvise und Zuanna Cuccina, zu sehen. 2 Als in der Nacht vom 13. auf den 14. September 1569 im Arsenal ein Feuer ausbrach, das auf die umliegenden Ge- bäude, darunter auch San Francesco della Vigna, übergriff, verbrannte das Altarbild. Daher beauftragte Alvise Cuccina vermutlich nach 1574 Veronese damit, das Gemälde zu wie- derholen, dieses Mal jedoch als Fresko. Bereits im 17. Jahr- hundert muss sich dieses jedoch aufgrund der ungünstigen klimatischen Bedingungen in einem relativ schlechten Zu- stand befunden haben. Im 19. Jahrhundert wurden seine Reste schließlich beseitigt. Das Aussehen des verlorenen Altargemäldes lässt sich durch Schrift- und Bildquellen gut rekonstruieren: Die ve- nezianischen Künstlerbiografen Carlo Ridolfi und Marco Boschini geben in ihren Werken Beschreibungen des Fres- kos ab, wobei die Passage bei Ridolfi am ausführlichsten und informativsten ist. 3 Darüber hinaus befindet sich – ab- gesehen von Barattis Radierung – im Museo Civico in Bel- luno eine in Öl auf Leinwand ausgeführte Kopie des Altar- bildes. 4 Offensichtlich wurden die Heiligen Hieronymus und Johannes der Täufer in einemweiteren Gemälde des Museo Nazionale in Neapel festgehalten. 5 Das verlorene Altargemälde ist sowohl formal als auch inhaltlich mit dem Gemälde »Die Madonna der Familie Cuc- cina« (Kat.-Nr. 4), das Veronese um 1571 im Auftrag von Alvise und Antonio Cuccina für den portego ihres Palazzo am Canal Grande anfertigte, in Beziehung zu setzen: Blickt der Betrachter bei dem Altarbild frontal auf die himmlische Sphäre mit Maria, Christus, den beiden Heiligen und dem Knaben, so ist im Gemälde des Cuccina-Zyklus die Szene um 90 Grad gedreht. Während sich die Familie Cuccina in ihrer Familienkapelle de facto regelmäßig zum Gebet ver- sammelte, ist sie in dem quadro da portego in ewiger An- betung dargestellt. Bei der »Madonna der Familie Cuccina« werden die beiden Realitätsebenen – ebenso wie in der Familienkapelle – durch Marmorsäulen voneinander ge- schieden. Sowohl auf dem Stich als auch auf dem Gemälde sind in der himmlischen Sphäre schemenhaft Bäume zu erkennen, die auf das Paradies verweisen. Christine Follmann Anmerkungen 1  Die Datierung des Altarbildes ist nicht belegt. Carlo Ridolfi nennt das Jahr 1562 (siehe Anm. 3).  2  Laut Ridolfi handelt es sich bei dem Knaben in zeitgenössischer Kleidung (ähnlich jener der Söhne von Zuanna und Alvise Cuccina in Veroneses Gemälde »Die Madonna der Familie Cuc- cina«) um ein Mitglied der Familie Cuccina. Dieser Passus hat in der Literatur immer wieder für Verwirrung gesorgt, da zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Altarbildes Alvise und Zuanna Cuccina noch keine Kinder hatten. Daher ist vielmehr anzunehmen, dass Alvise Cuccina, als er bei Veronese das Fresko in Auftrag gab, die Figur des Knaben hinzu- fügen ließ, um so die Erinnerung an seinen im Sommer 1572 verstorbe- nen Sohn Andrea aufrecht zu erhalten. Eine ganz ähnliche Figur findet sich auf Veroneses Altargemälde »Der heilige Antonius Abbas inmitten der Heiligen Cornelius und Ciprianus«, das sich heute in der Mailänder Brera befindet (1565–1571, Öl auf Leinwand, Inv.-Nr. 150). Siehe Ridolfi 1648 (Hadeln 1914), S. 325.  3  Carlo Ridolfi: »La terza [tavola] è posta nella Sacrestia con la Vergine medesima nel mezzo di due Angeli lietis- simi, che toccano leuti, e di sotto stanno ginocchioni i SS. Gio. Battista e Girolamo, vestito da Cardinale, che legge un libro tenuto da un fan- ciullo ritratto al naturale di casa Cocina, padrona dello Altare, istituito da Giovanni e Girolamo Cocina l’anno 1562; quale Pittura fù redipinta da Paolo sul muro, essendone andata un’altra à male nell’incendio seguito dell’Arsenale il 1574; mà questa per l’humido della calce, si và pregiu- dicando, non resistendo meno i marmi alle ingiurie del tempo; ma egli avverrà forse, che più si conservi in queste carte descritta.« (Ridolfi 1648 [Hadeln 1914], S. 325). – Marco Boschini: »Nella Sacrestia l’Altar di Casa Cucina ha la Tavola di Paolo Veronese, dipinta a Oglio sopra il muro, con la B. Vergine, e nostro Signore Bambino, Angeletti, & Angeli, che suon- ano: à basso S. Giovanni Battista, e S. Girolamo, con un valletto: opera di Paolo, tanto basti.« (Boschini 1664, S. 204).  4  Öl auf Leinwand, 73,3 × 50 cm, Inv.-Nr. 638. Siehe Lucco 1983, S. 13, Kat.-Nr. 12.  5  Inv.- Nr. 83966. Siehe Ridolfi 1648 (Hadeln 1914), S. 325, Anm. 3.

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