Katalog

158 Kat.-Nr. 11 Paolo Caliari, genannt Veronese Verona 1528–1588 Venedig Bildnis einer Dame (Zuanna Cuccina) um 1575 Öl auf Leinwand 117,3 × 100,8 cm München, Bayerische Staats­ gemäldesammlungen, Alte Pinakothek, Inv.-Nr. 594 Literatur: Marini/Piovene 1968, S. III, Nr. 141; Kat. München 1971, Bd. IX, S. 217–219; Kat. München 1975, Bd. V, S. 142f.; Pignatti/Pedrocco 1995, S. 285, Nr. 189; Kat. München 2007, S. 280; Garton 2008, S. 75f. Vor einem zurückgeschlagenen rosafarbenen Vorhang steht in einem dunklen, nicht genau bestimmbaren Raum eine Dame mittleren Alters in einem vornehmen rot-brau- nen Kleid. Während ihr Körper und ihr Kopf leicht nach links gewandt sind, scheint sie den Betrachter mit festem, etwas reserviertem Blick aus den Augenwinkeln heraus aufmerk- sam anzuschauen. Ihr blondes Haar hat sie zu einem Kno- ten am Hinterkopf festgesteckt. Abgesehen von goldenen Armbändern trägt sie keinen Schmuck. In ihrer linken Hand hält sie mit festemGriff ein weißes Tuch mit Fransen. Solche Ziertücher (fazzoletti) waren – im Gegensatz zu diesem auf dem Gemälde – in der Regel reich bestickt oder mit üppigen Spitzen besetzt und wurden im 16. Jahrhundert von Damen der gehobenen Gesellschaftsschicht deutlich sichtbar in der Hand getragen. Die kostbarsten Tücher dieser Art wurden in Venedig gefertigt und insbesondere nach Frankreich ex- portiert. 1 Bei genauer Betrachtung fällt auf, dass das aufwendig gearbeitete Kleid der unbekannten Dame fast identisch mit demjenigen ist, das Zuanna Cuccina auf Veroneses Ge- mälde »Die Madonna der Familie Cuccina« (Kat.-Nr. 4) trägt. Auch aufgrund der Physiognomie der Dargestellten, die auf demMünchner Gemälde etwas älter sein dürfte oder deren Gesichtszüge von dem Maler realistischer und weniger idealisierend als im Familienporträt wiedergegeben wur- den, liegt der Schluss nahe, dass es sich bei dem »Bildnis einer Dame« um ein Porträt der Zuanna Cuccina handelt. Sollte sich diese Hypothese bestätigen, wäre das Bildnis deutlich nach 1571, wohl gegen Ende der 1570er Jahre zu datieren. Denn die Dame erscheint hier einige Jahre älter als Zuanna Cuccina im Dresdner Gemälde und auch etwas fülliger; zeitgenössische Quellen belegen, dass Zuanna Cuccina insgesamt 13 Kinder gebar, das jüngste im Jahr 1577. Da Veronese in engem, auch persönlichem Kontakt mit der Familie Cuccina stand, ist es sehr wahrscheinlich, dass der Maler neben dem Gemäldezyklus für den Palazzo Cuccina und den beiden Altarbildern für die Familienkapelle in San Francesco della Vigna weitere Aufträge für die Fami- lie ausführte. Im Inventar des Palazzo Cuccina vom 4. Januar 1627 werden im portego zwei Porträts von Familienmit­ gliedern aufgeführt, allerdings sind hier – wie damals üb- lich – weder der Maler noch die dargestellte Person oder die Größe des Bildes vermerkt. 2 Veronese arbeitete das Bildnis sehr sorgfältig aus und erfasste den Charakter der Dargestellten präzise. Kontras- tierend dazu führte er den Vorhang mit einem sehr freien, fast skizzenhaften Pinselstrich aus. Das eindrucksvolle Bild- nis weist Veronese einmal mehr als Schöpfer großartiger Porträts aus. Christine Follmann Anmerkungen 1  Loschek 1993, S. 269–278. Es muss offen bleiben, ob das fazzoletto hier als reines Standessymbol zu verstehen ist oder als konkreter Hin- weis. Denkbar wäre zum Beispiel, dass sich die Familie Cuccina selbst bei der Produktion oder dem Handel von solchen Tüchern engagierte. 2  »Quadri n° 2 di tela con retratti di membri di casa« (Archivio di Stato di Venezia, Giudici di Petizion, Inventari di eredità, tutele, curatele, op- pure richiesti in causa, busta 350/15: Inventar vom 4. 1.1626 [i.e. 4.1.1627] der Brüder Francesco und Giovanni Battista Cuccina). – Even- tuell befinden sich ein Bildnis von Zuanna und eines ihrer Tochter Ma­ rietta Cuccina in einer französischen Privatsammlung. Siehe: Recherches 1965, S. 30–35.

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