Katalog

15 Skulpturen, Kunsthandwerksobjekte und mitunter auch Waffen. In jedem Fall aber wurde er auch mit Porträts und eigens in Auftrag gegebenen oder an- derweitig angekauften Gemälden, den sogenannten quadri da portego , ausgeschmückt. 14 Eine Auswer- tung von 74 Inventaren venezianischer Paläste aus den Jahren 1523 bis 1599 hat gezeigt, dass diese Ge- mälde neben Madonnen- und Christusdarstellungen sehr oft Gastmähler aus dem Leben Jesu zeigten, häufig aber auch andere religiöse Sujets wie die Rückkehr des Verlorenen Sohns, die Samaritische Frau am Brunnen, die Anbetung der Könige, die Be- kehrung des Paulus und den heiligen Christopho- rus. 15 Somit zählen zwei der Leben-Jesu-Szenen im portego der Cuccina zu den Motiven, mit denen ein Besucher rechnen konnte . Auch wenn der Palazzo der Familie Cuccina im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgebaut wurde, so hat Silke Feil einen überzeugenden Vorschlag zur ursprünglichen Hängung des Zyklus ausgearbeitet. 16 Der portego in der Ca’ Cuccina war ungefähr 23 Meter lang und 6,70 Meter breit, bei einer Raumhöhe von etwa 6 Metern. Aufgrund der malerischen Brillanz der Bilder möchte man eine Nahsicht annehmen, was aber nicht durch Dokumente zu verifizieren ist (der Augpunkt, den Rainer Groh in seinem Beitrag ana­ lysiert, gibt in der Regel nicht zwingend die tatsäch- liche Hängehöhe vor). Wohl jeweils zwei Gemälde waren auf einer der beiden Längswände vereint. Laut Feil waren auf der südlichen Wand die etwas größe- ren Bildformate platziert: rechts »Die Anbetung der Könige«, links »Die Hochzeit zu Kana«. Auf der Wand gegenüber könnten somit die kleineren Werke ge- hangen haben: rechts »Die Kreuztragung Christi«, links daneben »Die Madonna der Familie Cuccina«. 17 Somit dürfte der Besucher, der den Saal durch das Haupttreppenhaus auf der Nordseite betrat, zu- nächst die Geburt Christi vor Augen gehabt haben und wäre dann entgegen dem Uhrzeigersinn den wei- teren Stationen aus dem Leben des Gottessohns ge- folgt (Wunder und Passion), bis er abschließend vor dem Gruppenporträt der Auftraggeber gestanden hätte. Formal wären somit die jeweils im Format iden- tischen Gemälde auf einer Wand versammelt gewe- sen. Zudem entsprach die Lichtführung in den Bildern der tatsächlichen Situation der gegenüberliegenden Fenster, wobei die »Madonna der Familie Cuccina« auch auf das von rechts vom Canal Grande kom- mende Licht hin konzipiert war, da sich links neben ihr die Tür zum Treppenhaus befand (siehe Follmanns Aufsatz, Grundriss S. 32). Inhaltlich setzt die Anbe- tung durch die Auftraggeber das eigentliche Heilsge- schehen voraus und kann somit nur am Ende gehan- gen haben. Selbstverständlich dürften die in den Historienszenen thematisierten biografischen Ein- schnitte, nämlich Geburt, Hochzeit und Tod, auch generell für die Familie von Bedeutung gewesen sein, schließlich stellt die »Madonna der Familie Cuccina« auch eine Feier der Familiendynastie dar. Nicht zu übersehen ist die Bedeutung der Mutterrolle: In der Königsanbetung präsentiert Maria das Jesuskind der Welt, bei der Hochzeit zu Kana drängt sie Christus zum ersten öffentlichen Wunder, bei der Kreuztra- gung klagt sie stellvertretend für die Menschheit um ihren Sohn, und in dem Familienbild thront sie in ihrer heilsgeschichtlichen Rolle als Gottesmutter. Dass in letzterem Zuanna Cuccina die Mitte der Leinwand einnimmt, von ihren acht Kindern umgeben, spricht für ihre Bedeutung in der Familie. Das dürfte aber auch wirtschaftlich gemeint sein, denn Zuanna Cuc- cina sollte beispielsweise nach Antonios Tod dessen Geschäftsanteile übernehmen. 18 Mit den beiden Hei- ligen Johannes dem Täufer und Hieronymus, die im Familienbild neben der Madonna knien, wird auf die Namensheiligen der beiden für den Aufbau des Fami- lienunternehmens zentralen Vorgänger angespielt, nämlich Alvises Vater Girolamo Cuccina sowie den Onkel Zuanne (Giovanni) Cuccina. Dieser Gemälde-Zyklus war nicht der erste Auftrag der Cuccina an Veronese. Die Familie orderte bei ihm bereits um 1560/62 ein Altargemälde für ihre Fami­ lienkapelle in San Francesco della Vigna (Kat.-Nr. 8). Zu diesem Zeitpunkt waren die Cuccina noch nicht an den Canal Grande gezogen, sondern wohnten wie Veronese in der Pfarrei San Felice. Schon bei diesem Auftrag ist es als gesellschaftliches Statement zu ver- stehen, dass sie mit Veronese einen Künstler beauf- tragten, der in San Francesco della Vigna mit der »Pala Giustiniani« bereits für einen venezianischen Patrizier ein Werk geschaffen hatte. 19 Eine weitere Verbindung zwischen Veronese und den Cuccina lässt sich wenige Jahre später feststellen, als Verone- ses Neffe und Mitarbeiter Alvise del Friso 1566 auf dem Grundstück La Pasina, auf dem auch der Palazzo Cuccina stand, eine Wohnung von dieser Familie mie- tete. 20 Doch auch nach Vollendung des Cuccina-Zyk- lus brach der Kontakt zwischen dem Maler und den Cuccina nicht ab: Am 15. November 1572 fungierte Alvise Cuccina als Taufpate von Veroneses Zwillings- töchtern Vittoria und Ottavia. 21 Und wie Christine Follmann identifizieren konnte, schuf Veronese auch noch ein Einzelporträt von Zuanna Cuccina (Kat.-Nr. 11). Abb. 3 Veronese, »Madonna der Familie Cuccina« , Detail: Palazzo der Cuccina mit Familienmitgliedern

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