Katalog
15 Das Ende der Befreiungskriege und der damit einsetzen- de wirtschaftliche Aufschwung Preußens nach 1815 war ein wesentlicher Faktor für die vielseitige Karriere von Karl Friedrich Schinkel. Als Mitglied der preußischen Baube- hörde spielte er eine zentrale Rolle. Zu seinen Projekten zählte eine Reihe königlicher Paläste, für die Schinkel nicht nur die Architektur, sondern auch die Innenausstattung entwarf. Großen Einfluss gewann Schinkel auf dem Ge- biet des Kunsthandwerks dank seiner zahlreichen Entwür- fe für Eisen- und Zinkguss, Ton-, Steingefäße und Möbel, die von den jeweiligen Werkstätten umgesetzt wurden, und durch seine Schüler. Noch heute aktuell erscheint sein Rohrstuhl, den er für den preußischen Hof entworfen hat. Neben den reprä- sentativen, vergoldeten Möbeln in Bildhauerarbeit für die Staatsgemächer lieferte Schinkel für die einfachere Aus- stattung der anschließenden Räume schlichte Möbel. Zwar ist der Rohrstuhl durch keine Zeichnung von Schin- kel belegt, aber er gehört nachweislich zur Ausstattung des Neuen Pavillons (1825 errichtet). Für diesen Pavillon neben Schloss Charlottenburg zeichnete Schinkel verant- wortlich und überwachte dessen Ausführung in allen De- tails. Der Stuhltypus, der in Birke, Kirsche und Mahagoni in der edleren Variante als Polsterstuhl bekannt ist, stand zudem noch im Kronprinzenpalais, das ebenfalls von Schinkel umgestaltet, ausgebaut und möbliert worden war. Schinkel leitete diesen Stuhl von dem charakteristischen Typus des Klismosstuhls ab, der auf antiken Vorbildern beruht und durch zahlreiche Abbildungen auf Vasen, Re- liefs und Wandmalereien überliefert ist. Mit der Antikenre- zeption um 1800 erfreute sich dieser Stuhltyp großer Beliebtheit und behauptete sich in zahlreichen Varianten bis in die späte Biedermeierzeit hinein. Schinkel übersetz- te den Stuhl mit seinen stark ausschweifenden Beinen und der weit ausschwingenden Rückenlehne in eine ver- einfachte, funktionellere Form. Dabei verringerte er den Schwung und die Breite der Rückenlehne, begradigte die Vorderbeine und wölbte stattdessen die Vorderzarge. Es entstand ein klassizistischer Stuhl mit reduzierter Gestal- tung. Der Verzicht auf Querstücke, Sprossen etc. und die aus Rohrgeflecht bestehende Sitzfläche geben dem Stuhl eine überraschende Leichtigkeit. Zweckmäßigkeit und Handhabung standen im Vordergrund der Formgebung dieses Stuhls, der als Tafelstuhl gebraucht wurde. Somit ist Schinkels Entwurf, der in großen Stückzahlen von Berliner Tischlereien ausgeführt wurde, ein frühes Beispiel klassischen Produktdesigns mit Vorbildcharakter. ST Literatur Kat. Biedermeier, Die Erfindung der Einfachheit, hrsg. von Hans Ottomeyer/Klaus Albrecht Schröder/Laurie Winters, Milwaukee Art Museum, 2006/07 u.a., Ostfildern 2006. | Kat. Karl Friedrich Schinkel, Möbel und Interieur, hrsg. von Bärbel Hedinger/Julia Berger, Altonaer Museum, Norddeutsches Landesmuseum im Jenisch Haus, Hamburg, 2002, München 2002. | Barbara Mundt, Architekten als Designer, Berlin 1998. F.W. Kloss Palais Friedrich Wilhelms III., Speisezimmer | um 1840 Aquarell
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