Katalog
95 Die neue Einfachheit in den 1930er-Jahren spiegelte sich auf dem gedeckten Tisch in allen Details vom Geschirr über die Gläser bis hin zum Besteck wider. Die reduzierten Formen des Jugendstils, wie sie etwa Josef Hoffmann in seinen Bestecken vorgeführt hatte, wurden hier wieder aufgegriffen und in der typischen großzügigen Linie der Neuen Sachlichkeit neu interpretiert. Unter den Besteckherstellern dieser Zeit trat insbesonde- re Carl Pott durch seinen anspruchsvollen modernen Stil hervor. Im Jahr 1932 war Carl Pott in die väterliche »Spe- zialfabrik silberner, versilberter, rostfreier Bestecke und Tischgeräte« eingetreten. Während sich die Firma zuvor auf die verfeinernde Überarbeitung von Rohwaren be- schränkt hatte, begann der Sohn erfolgreich mit der selbstständigen Fabrikation von Bestecken. Nach den Grundsätzen des Werkbunds strebte Carl Pott eine zweckvolle und formschöne Gestaltung an, die ohne mo- dische Allüren sein und Bestand haben sollte. Das erste Besteck nach dieser Maßgabe, das Modell 2716, hatte Pott selbst 1935 entworfen. Mit diesem schlichten, glatten Modell in der Formensprache der Neuen Sachlichkeit ge- lang Pott der internationale Durchbruch. Er erhielt auf der Weltausstellung in Paris das Diplôme d’honneur und er- öffnete, bestärkt durch seinen Erfolg, eine Serie von re- duzierten Entwürfen, für die er bedeutende Gestalter wie Josef Hoffmann, Wilhelm Wagenfeld, Hans Schwippert und Hermann Gretsch hinzuzog. Pott hielt stets an seiner stilistischen Grundkonzeption fest, sodass die Produkt palette der Firma einer Entwurfsrichtung folgte. Als ersten Künstler gewann Pott im Jahr 1941 den genannten Her- mann Gretsch. Der Architekt und Keramiker hatte sich durch seine Arbeit bei der Arzberger Porzellanfabrik einen Namen gemacht. Sein Entwurf des Kaffee- und Tafel service 1382 sollte zum Musterbeispiel für eine zeitlose schlichte, klare Form avancieren. Gretschs Besteckentwurf wird durch die leicht gebauch- ten Formen der Griffe definiert, die durch das sanft glän- zende Silber ihre harmonische Gestaltung gewinnen. Im Werbeblatt heißt es: »Ein Besteck ohne ornamentales Beiwerk, zeitlos und schlicht, das in gebrauchstechni- scher Hinsicht vollkommen durchgestaltet ist. Die gänzlich glatte, gut zu reinigende Form lässt die Schönheit des Materials und die Gediegenheit der Verarbeitung beson- ders in Erscheinung treten. […] Mit dem Besteck 81-781 hat Dr. Gretsch erstmals eine in ihrer Einfachheit und Klar- heit grundsätzlich neue Form geschaffen« (Archiv Kunst- gewerbemuseum). Carl Pott und Hermann Gretsch profitierten von der Tatsa- che, dass das Gedankengut des Werkbunds Eingang in die offizielle Gestaltungsideologie des »Dritten Reiches« gefunden hatte. Die Schrift von Hermann Gretsch mit dem Titel »Hausrat, der zu uns passt. Erster Band: Essgeräte« illustriert dies deutlich. Trotzdem hatte Pott Schwierig keiten, den Besteckentwurf umzusetzen, da versilberte und rostfreie Bestecke im Krieg wegen Rohstoffmangel nicht hergestellt werden durften. Pott schrieb an Gretsch, dass nur das Kriegsbesteck in eisenvernickelter Ausfüh- rung vertrieben werde. Er hätte von maßgeblicher Stelle Schwierigkeiten, weil die bisherige Ausführung zu gut sei. Daher konnte das von Hermann Gretsch entworfene Besteck erst ab Ende 1948, als wieder genug Rohmate- rial auf dem Markt war, in Serie produziert werden. Es wurde in Alpaka versilbert (Muster 781) und Silber (81) hergestellt. Neben diesem erfolgreichen Besteck, das über 40 Jahre lang aufgelegt wurde, zeichnete Gretsch noch das Modell 83. Wegen seines plötzlichen Todes im Jahr 1950 arbei- tete Wilhelm Wagenfeld das Muster weiter aus, sodass es 1950/51 eingeführt werden konnte. ST Literatur Barbara Mundt, Architekten als Designer, Berlin 1998. | Antoinette Lepper-Binnewerg, Die Bestecke der Firma C. Hugo Pott, Solingen, 1930–1987. Ihre Formengeschichte und Stellung im Besteckdesign, Diss. Bonn 1993, 2 Bde. | Antoinette Lepper-Binnewerg/Carl Pott, Das Nützliche vollkommen gestalten, Hamburg 1993. | Hermann Gretsch, Hausrat, der zu uns passt. Erster Band: Essgeräte. Ein Wegweiser für alle, die sich zeitgemäß einrichten wollen, Stuttgart [ca. 1940]. Hermann Gretsch, überarbeitet von Wilhelm Wagenfeld Besteck »Pott 83« | 1950 Kunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin
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