Katalog
179 In den 1930er- und 1940er-Jahren waren die Geschirre im Angebot der beiden oberfränkischen Porzellanfabriken Schönwald und Arzberg von den robust wirkenden, rund- lichen Formen des Gestalters Hermann Gretsch geprägt. Gretschs Arbeiten bedienten nicht nur die damalige For- derung des Werkbunds nach schlichten und zweckmä- ßigen Gebrauchsformen, sondern entsprachen auch der politisch-ideologischen Idee von tugendhafter Schlichtheit deutschen Hausrats. Nach dessen Tod 1950 wurde Hein- rich Löffelhardt als neuer künstlerischer Leiter beider Por- zellanhersteller eingesetzt. Für die kommenden 20 Jahre sollte er das Sortiment der Manufakturen bestimmen. Mit seinem ersten Servicedesign für die Firma Arzberg knüpfte er noch lose an die Ideen seines Vorgängers an, insofern sich Rundungen und bogenförmige Linien an den Formen abzeichnen. Am Beispiel der Kaffeekanne wird jedoch deutlich, dass Löffelhardts Entwurf nicht gedrun- gen erscheint, sondern in die Vertikale aufstrebt. Die Kan- ne besitzt bereits den langen, dezent geschwungenen Ausguss und Henkel sowie den aus dem Deckel in die Höhe wachsenden Knauf, die den Gefäßen eine schwa- nenhafte Eleganz verleihen. Noch im selben Jahr, eben- falls 1957, entstand ein Service für die Firma Schönwald, das mit den Formen der 1930er-Jahre völlig brach und sich als klassisches 50er-Jahre-Design profiliert. Die Idee der bauchigen Kannenform ist verworfen und gerade Li- nien bestimmen stattdessen die Silhouette. Noch präg- nanter wirkt hier der flächige Aufdruck des Dekors, der an die grafischen Tapetenmuster jener Jahre erinnert. Neben den vertikalen Linien, die das Aufstreben der Form unter- streichen, verleihen die unregelmäßig gesetzten rechtecki- gen Reserven und die Wahl der hellblauen Farbe Leich- tigkeit. Für die Formmodelle beider Service errang Hein- rich Löffelhardt noch im Jahr ihrer Entstehung je eine Goldmedaille auf der Triennale in Mailand. 1953 war Löffelhardt dem Deutschen Werkbund beige- treten, dessen Mitglieder seit der Gründung des Vereins 1907 davon ausgingen, dass die Gestaltung von Alltags- gegenständen gesinnungs- und charakterbildend auf ihre Benutzer wirkt – eine Einstellung, die freilich in den 1930er- und 1940er-Jahren intensiv für die Ideologie der National- sozialisten genutzt wurde. In der Nachkriegszeit ging es wie zu Beginn des Jahrhunderts darum, deutsche Pro- dukte international wettbewerbsfähig zu machen. Man strebte eine gelungene Verbindung von Design und tech- nischem Fortschritt der längst zum Standard gewordenen Industrieform an. Wesentliche Merkmale einer »Guten Form« waren ihre Zweckmäßigkeit, materialgerechte Her- stellung sowie eine sachlich-solide Gestalt. Das Service mit der Nummer 2075, welches Löffelhardt 1963 entwarf, scheint diese Forderungen konsequent einzulösen. Als noch reduzierter und strenger erweist sich der Entwurf der Kaffeekanne, deren Körper aus einem einfachen Zylinder entwickelt ist. Im Unterschied zu ihrem glattwandigen Vor- gängermodell (Form 2050 von 1959) vereitelte Löffelhardt durch die vertikal gerillte Wandung die Möglichkeit eines farblichen Dekoraufdrucks, sodass jene Kanne in ihrem schlichten Weiß als zeitlosester unter den drei vorgestell- ten Entwürfen hervortritt. LRD Literatur Carlo Burschel (Hrsg.), Heinrich Löffelhardt. Industrieformen der 1950er und 1960er Jahre aus Porzellan und Glas. Die »gute Form« als Vorbild für nachhaltiges Design, Bremen 2004. | Barbara Mundt/Susanne Netzer/Ines Hettler, Interieur + Design 1945–1960 in Deutschland, Berlin 1993, Kat.-Nr. 334. Heinrich Löffelhardt Kaffeekanne Form 2025 (links) | 1957 Kaffeekanne Form 2075 (rechts) | 1963 Porzellanfabrik Arzberg (Oberfranken) Kunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin
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