Katalog
53 JOHANNES SCHMI DT Der »Trotzdemist« 1 Bernhard Kretzschmar und sein Engagement für die Interessen der Kunst und der Künstler in Dresden Zum Kernbestand von Anekdoten aus der Dresdner Kunstszene der DDR-Zeit gehören Schilderungen der legendären Feindschaft zwischen den beiden Altmeistern Wilhelm Rudolph und Bernhard Kretzschmar. Beide Künstler hatten es geschafft, ihre in der unmittelbaren Nachkriegszeit bezogenen Ateliers im Gebäude der Kunstakademie auch ohne Lehrauftrag an der Einrichtung bis zu ihrem Tode zu verteidigen. Sie kann ten sich schon seit ihrem Akademiestudium vor dem Ersten Weltkrieg und waren bereits zu dieser Zeit für ihre streitbaren Temperamente bekannt. 2 Während Rudolph als schwieriger Einzelgänger galt, fiel Bernhard Kretzschmar damit auf, dass er als Wahrheitssucher und Gerechtigkeitsfanatiker seinen Kampf um die eigene Existenz und das eigene Werk mit leidenschaftlichem Engagement für die gesellschaftliche Ach tung der Künste im Allgemeinen und die wirtschaftliche Situation der Künstler im Besonderen zu verknüpfen wusste. Dabei entwickelte er sich zu einem großen Freund der Debatte und tat seine Standpunkte wohl »in Hunderten von Briefen und in ebenso vielen Reden und Diskussionsbeiträgen« kund. 3 »An die Kunstbehörden, Professoren, Zeitungen schrieb er ununterbrochen Briefe von beachtlicher Länge. Er war gefürchtet dort, denn er ließ nicht locker, wenn er eine Sache erst einmal in die Hand nahm«, berichtet Otto Griebel in seinen Erinnerungen und über liefert die Anekdote, Kretzschmar »erschien eines Tages wütend in einer Zeitungsredaktion und bedrohte dort den Kritiker, der ihn heruntergemacht hatte, mit einem Knüppel«. 4 Der Bildhauer Helmut Heinze veröffentlichte 2015 eine Sammlung von Aussprüchen und Zitaten Kretzschmars, 5 die einen unterhaltsamen Überblick über dessen eloquente Statements und Zwischenrufe vermittelt. Bis zu seinem Lebensende blieb Bernhard Kretzschmars 1945 getroffene Selbsteinschätzung »als Radikalist verschrieener Akti vist« 6 verallgemeinerbare Charakterisierung für seine Rolle in der Infrastruktur des Dresdner Kunstbetriebs. Dabei waren seine künstlerischen Anfänge keineswegs durch besondere Diskursfreu digkeit gekennzeichnet. »Von Böckstiegel und Kretzschmar merkte man […] nicht viel. Sie hielten die Türen fest verschlossen«, schrieb Otto Griebel über die gemeinsame Studentenzeit 1919/20 im Gebäude des ehemaligen Polytechnikums am Antonsplatz. 7 1 Dresdner Sezession 33 , 1933 Titel der Dresdner Sezes sion im Katalog »Drei Künstlergruppen«, 1933 nach einer Zeichnung von Bernhard Kretzsch mar im Kupferstich-Kabinett Dresden
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