Katalog
55 Künstlerische Zurückhaltung kann der Grund nicht gewesen sein, denn noch im selben Jahr 1919 präsentierte sich Kretzschmar mit einer ersten Einzelausstellung im Kunst salon von Emil Richter. Auffällig ist, dass sein Name auch nicht in Verbindung mit dem in den Revolutionswochen gegründeten Studentenrat auftaucht, der unter der Leitung seines Freundes Edmund Kesting und des KPD-Mitglieds Eric Johansson antrat, die Dresdner Kunstakademie zu reformieren. Wiederum war es Fritz Löffler, der eine hypothetische Antwort auf Kretzschmars politische Bindungslosigkeit zu finden ver suchte: »Ein ausgeprägtes, subtiles Verantwortungsgefühl für die ihm ganz persönlich gestellte Aufgabe ließ ihn sich von allen äußeren Bindungen fernhalten.« 12 Der Beginn von Bernhard Kretzschmars Engagement für die wirtschaftlichen Belange der Künste fiel zeitlich etwa mit seiner Abwendung vom Expressionismus zusammen. Es kann spekuliert werden, ob ihn das eigene Erleben materieller Not als freischaffen der Künstler zu seinen realistischen Bildthemen aus dem kleinbürgerlichen Milieu veranlasst hat. Dass seine persönlichen Umstände Beweggrund für den Beginn seiner aktiven Mitarbeit in den Dresdner Interessenvertretungen der Künstlerschaft gewesen sind, kann hingegen als sicher gelten. Nach dem Ende der Inflationszeit war für viele Künstler die Existenzgrundlage weg gebrochen, die sich ihnen zuvor mit der Geldflucht in die »Sachwerte« zeitweilig eröff net hatte. Die öffentliche Künstlerförderung war auf einem Tiefpunkt angelangt, und viele private Stiftungen hatten ihr Kapital verloren. Vor die Förderung herausragender Talente und qualitätvoller Erwerbungen für die öffentlichen Kunstsammlungen trat nun die schlichte Überlebenshilfe für die allein in Dresden Hunderte von einkommens losen Künstlern. Obwohl die Stadt den Verschönerungsfonds der Dr. Güntz-Stiftung zur Unterstützung bedürftiger Künstler einsetzte 13 und damit den Mitteleinsatz für den Erwerb von Kunstwerken vervielfachte, konnten die so getätigten öffentlichen Ankäufe die Not unter den Künstlern nicht wesentlich lindern. 14 Auch Bernhard Kretzschmar gehörte zu denen, die sich bis in die 1930er Jahre in ent würdigender Weise um Almosen der Hilfsfonds bewerben mussten. 15 Infolgedessen begann er, gegen die »degradierende Fürsorgebehandlung der Kunst« 16 aktiv zu werden und sich als Sprecher der freien Künstlerschaft zu profilieren. Dabei verband er die Kritik an der konkreten Situation mit Vorschlägen zur Umgestaltung der öffentlichen Kunstpflege. Aufgrund des Vorgehens der Ankaufskommission in der Weihnachts ausstellung des Kunstvereins 1925 verfassten Kretzschmar und Wilhelm Rudolph eine Beschwerde an das Sächsische Ministerium des Innern, in der die beiden sich gegen die »Nivellierung künstlerischer Leistungen durch Ankäufe in die Breite« wandten und stattdessen die Würdigung besonderer künstlerischer Qualität als Kriterium anmahn ten. Kretzschmar schrieb: »Die Kommission hat, wenn sie konsequent verfährt, nur zwei Möglichkeiten, entweder sie kauft nach großen Gesichtspunkten wenige aber hochwertige Arbeiten und bezahlt sie richtig oder sie kauft nach Warenhaus-Auffas sung viele billige, aber schlechte Bilder.« 17 Der Vorschlag, »einen Betrag lediglich zu Qualitätsankäufen zu verwenden und den anderen Teil ohne Ankäufe an die bei Ankäufen nicht bedachten Künstler zur Unter
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