Katalog
10 Nachdenken über den eigentlichen Sinn des Lebens und die grundsätzliche Bedeutung der Kunst darin. Dieses unerbittliche Grübeln über die eigentliche Aufgabe des bildne rischen Schaffens führte mich […] zu einer fast überspitzten Orientierung nach der formalen Seite hin, aber zugleich tastete ich mich in diesem experimentellen Stadium an die prinzipiellen Notwendigkeiten der malerischen Gestaltung heran, die eine un lösbare Voraussetzung für die schöpferische Verarbeitung der sichtbaren Wirklichkeit zur durchdachten und vergeistigten Aussage im Kunstwerk ist.« Mit diesem Satz ist Bernhard Kretzschmar beim Programm seines Lebens. Er orien tierte sich am Dinglichen, an der Wirklichkeit, und er wollte zum Geistigen, zum Aus druck der Wahrheit und zur Deutung des Gesehenen gelangen. An den Bildhauer Karl Albiker hatte er 1959 ganz ähnlich geschrieben: »Die grotesken, symbolischen, fast sur realistischen Arbeiten […] waren der Übergang von der rein impressionistischen Art des Sehens zur Deutung des Daseins im Begreifen der Erscheinungen« 2 und bezieht sich damit auf die Anfänge seines Schaffens als Künstler. Die frühe Zeit – Impressionismus und Expressionismus Bernhard Kretzschmar kam, noch nicht zwanzigjährig, 1909 nach Dresden zum Stu dium an die Königliche Kunstgewerbeschule. Von seinen ersten Lehrern Ermenegildo Carlo Donadini, Richard Mebert und Alwin Louis Anger sollte Letzterer nachhaltig bleiben. Er erteilte Unterricht in Architektur, perspektivischem Zeichnen und in Schat tenlehre – bildnerische Grundlagen, die auch in Kretzschmars späterem Schaffen eine bedeutende Rolle spielen werden. Im Herbst 1911 wechselte Kretzschmar an die Kunstakademie. Hier erhielt er durch Robert Sterl erste Anregungen, was eine Reihe von völlig selbständig entstandenen kleinen Zeichnungen und Ölstudien beweist, die der junge Künstler 1913 von seiner viermonatigen Reise durch die Schweiz, Italien, Frankreich und Mallorca mitbrachte. Die weichen, stimmungsvollen Zeichnungen, die fast tagebuchartig die Stationen der Reise wiedergeben, zeigen Kretzschmars ursprüng liche Begabung, seine Suche nach dem Einfachen und Natürlichen. Die kleinen, sehr frisch wirkenden Ölstudien, alla prima gemalt, teilen etwas mit vom naiven Blick und der Leidenschaft des malerischen Erlebnisses. 3 Am deutlichsten ist hier der Einfluss Sterls zu erkennen, der seine Studenten sowohl zumMalen nach der Natur als auch zur Wahrnehmung des arbeitenden Menschen und alltäglicher Vorgänge anregte (Abb. 2 und 3). Zurück von dieser Reise, wechselte Kretzschmar in die Klasse von Oskar Zwintscher. Auch dieser Maler, selbst der Stilkunst verpflichtet und offenbar auch er ein toleranter Lehrer, sollte nicht ohne Wirkung auf Kretzschmar bleiben. Von ihm werden die Helligkeit, die Wolkenformationen vor intensiv blauen Himmeln, die weiten Land schaftsräume und das Flirren einer durchsonnten Atmosphäre in späteren Bildern Kretzschmars aufgehoben sein. Ähnlich wie bereits Sterl, hielt auch Zwintscher seine Studenten zur Freilichtmalerei an. Im Frühjahr 1914 zog er mit ihnen zu Malaufent halten ins südöstlich von Dresden gelegene Borthen und in den nahen Gebergrund. Hier kam Kretzschmar mit einer Landschaft in Berührung, in der er sich wenig später für immer ansiedelte und die fortan für sein Schaffen prägend blieb.
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