Katalog

145 Die Berichte der Sozialdemokratischen Partei aus dem Exil für März 1935 erwähnen neben einer strenger gewordenen Haft auch eine Verschärfung der Wachmaßnahmen. So wurden »die Schutzhäftlinge durch SS-Posten, die mit Gewehren bewaffnet sind, bewacht und zur Arbeit in den Steinbruch geführt. Bei Außendienst hat die SS das Bajonett aufge- pflanzt.« Die Ausstattung mit Maschinengewehren und das aufgepflanzte Bajonett wirkten zwar martialisch, waren aber für Wachzwecke unsinnig. Als Wachen in den Unterkünften der Gefangenen wie auch bei anderen Gelegenheiten wie demVollzug der Prügelstrafe an Häftlingen trugen die SS-Männer den Stahlhelm. ImWachdienst war er aufgrund der Ein- schränkungen von Hör- und Beobachtungsmöglichkeiten hinderlich. Ob die martialische Ausstattung den »Häftlingsfeind« nur von Widerstand oder Flucht abschrecken sollte, erscheint fraglich. Vielmehr sollte den SS-Männern das Gefühl einer von den Häftlingen ausgehenden Bedrohung gegeben werden; sie sollten sich im Krieg gegen einen beson- ders heimtückischen Feind wähnen, 13 der laut Simon in jedem SS-Mann seinen »Todfeind« sah. 14 Ab August 1935 führte die Formation die Bezeichnung Wachtruppe »Sachsen« und im Januar 1936 wurde sie in SS-Totenkopfsturmbann »Sachsen« umbenannt. 15 Weit realer als die Bedrohung durch Häftlinge war für die SS-Männer der extreme Druck, den ihre Vorgesetzten ausübten und der bei »Versagen« zu Selbstmorden führte. So sollen sich allein im Jahr 1936 sechs SS-Leute das Leben genommen haben, darunter »Chargier- te«, also nicht nur einfache SS-Männer, sondern auch SS-Dienstgrade. 16 In den Wach­ truppenbefehlen für 1936 ist die Teilnahme der Wachtruppe an Trauerfeiern für zwei SS-An- gehörige geregelt, ohne dass die Todesursache genannt wird. 17 Nicht nur im Wachdienst konnten »Fehler« vorkommen, auch die logistische, organisatorische und administrative Betreuung der stetig wachsenden Truppe und die intensivierte militärische Ausbildung forderte ihre Angehörigen. 18 Immerhin stieg die personelle Stärke von etwa 80 Mann des Sturms im Sommer 1934 auf über 500 des III. SS-Totenkopfsturmbanns »Sachsen« im Jahr 1936. Der Sturmbann ging 1937 wegen der Zusammenfassung der Wacheinheiten zu drei SS-Totenkopfstandarten in diesen auf. 19 Die Lebensbedingungen der SS-Männer waren zumindest zeitweise bescheiden. Sie wur- den auf engem Raum, zum Teil in Schlafsälen mit 112 Personen, in der gleichen ehema- ligen Textilfabrik untergebracht wie die Häftlinge. 20 Und sie stahlen sich gegenseitig die 7  Franz Josef Merkl, Kameradschaftlicher Beistand. Wie Wehrmachtoffiziere und -juristen dem Waffen-SS-General Max Simon in den Brettheim-Prozessen von 1955 bis 1960 zu Hilfe kamen. In: Jan Erik Schulte/Peter Lieb/Bernd Wegner (Hg.), Die Waffen-SS. Neue Forschungen (Krieg in der Geschichte Band 74), Paderborn 2014, S. 406–420. 8  Zeugeneinvernahme vom 28.7.1962 (BArch, DP 3 1817).  9  Zum Reichsparteitag 1936 vgl. Sturmbannbefehl vom 29.8.1936 (ITS Archives, Bad Arolsen, 1.1.37.0).  10  Merkl, General Simon, S. 70.  11  Sonderwachtruppenbefehl vom 6.12.1934 (ITS Archives, Bad Arolsen, 1.1.37.0; BStU, MfS-HA IX/11, ZM 1680, A 9).  12  Ebd.  13  Zit. nach Merkl, General Simon, S. 73.  14  Wachtruppenbefehl vom 4.11.1935 (ITS Archives, Bad Arolsen, 1.1.37.0).  15  Zusatzbefehl vom 10.8.1935 und Sturmbannbefehl vom 2.1.1936 (ITS Archives, Bad Arolsen, 1.1.37.0).  16  Merkl, General Simon, S. 73f.  17  Sturmbannbefehle vom 17.1. und 14.3.1936 (ITS Archives, Bad Arolsen, 1.1.37.0).  18  Stefan Hördler sieht ab Frühjahr 1935 Eickes höchste Priorität beim »militärischen Drill«; vgl. KZ-System und Waffen-SS. Genese, Interde- pendenzen und Verbrechen. In: Schulte/Lieb/Wegner (Hg.), Die Waffen-SS, S. 80–98, hier S. 85.  19  Ebd., S. 86; Merkl, General Simon, S. 149f.  20  Vgl. Wachtruppenbefehl vom 14.11.1935 (ITS Archives, Bad Arolsen, 1.1.37.0).

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