Katalog
211 DIE QUANTITATIVE DIMENSION – VERSUCH EINER ANNÄHERUNG Die vorstehende tabellarische Übersicht über die Jahre 1933 bis 1936 enthält die aus Stärke meldungen bisher recherchierten Häftlingszahlen und verdeutlicht zugleich die noch bestehenden großen Lücken. 12 In den Monaten Mai und Juni 1933 ist zunächst ein syste- matischer Anstieg der Belegungszahlen zu verzeichnen. Ausschlaggebend dafür war die Schließung vieler kleinerer Haftstätten in Sachsen, wie Augustusburg, Chemnitz, Plaue bei Flöha, Döbeln, Grimma, Hainichen, Klingenthal, Limbach-Oberfrohna, Lugau, Oede ran, Oelsnitz/Erzgebirge, Oschatz, Stollberg undWaldheim. Die Überweisung von Schutz- häftlingen ins KZ Sachsenburg wäre noch zahlreicher ausgefallen, wenn nicht bereits erste Prozesse gegen politische Gegner mit Untersuchungshaften bei den Landesgerich- ten, beim Oberlandesgericht und beim Reichsgericht zur Verhandlung angestanden hät- ten. Die hohen Belegungszahlen von Juli bis Oktober 1933 stehen in Verbindung mit der fortgesetzten Schließung weiterer kleiner Haftstätten und früher KZ, wie Zschorlau, Taucha, Rötha, Riesa, Plauen, Oelsnitz/Vogtland, Markranstädt, Dresden und Chemnitz sowie mit der für die Sommermonate 1933 verhängten Entlassungssperre. Der starke Rückgang der Häftlingszahlen ab November 1933 ist auf diverse »Amnestien« auf Reichs ebene zurückzuführen. 13 Der erneute massive Anstieg der Häftlingsbelegung ab Spätsommer 1935 hatte mehrere Gründe: Geheimerlasse der Gestapo zielten auf neue und alte Gruppen von politischen und konfessionellen Gegnern des Regimes. Wie noch zu sehen sein wird, waren aber auch von der Einführung der Wehrpflicht 1935 viele männliche Zeugen Jehovas direkt betroffen, da sie den Dienst an der Waffe generell ablehnten und infolge dieser Verwei- gerung auch mit KZ-Haft verfolgt wurden. Eine besondere Wirkung entfaltete der von Reinhard Heydrich gezeichnete Geheimerlass der Gestapo vom 29. Juli 1935. 14 Darin wur- de formuliert, dass eine »in letzter Zeit besonders zunehmende Aktivität der kommunis- tischen Funktionäre« es unbedingt »erforderlich« mache, für deren »schärfste Bekämp- fung zu sorgen«. Gedacht war dabei an »Präventivmaßnahmen« – nämlich an Schutzhaft bei weiterhin vorhandener »staatsfeindlicher« Einstellung und »wenn der Verdacht besteht, daß sie in versteckter Form gegen den Staat hetzen«. Darüber hinaus sollten ehemalige KPD-Funktionäre nach Strafverbüßung sofort in Schutzhaft genommen wer- den, wenn es sich um »gefährliche Staatsgegner« oder potenzielle Widerständler han- dele. Kommunisten, die zum zweiten Male in »Schutzhaft genommen werden mußten«, 12 Zusammengestellt aus Meldungen an das RSHA, die lückenhaft im Bundesarchiv Berlin einzusehen waren, aus wenigen aufgefundenen Meldelisten in der Hängemappe zum KZ Sachsenburg in den ITS Archives, Bad Arolsen sowie aus Berichten der AH Flöha, Bestand 30044, Nr. 2402, im SächsStA-C. 13 Vgl. Drobisch/Wieland, System, S. 136f. Dort auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem in der NS-Presse verwendeten Begriff »Amnestie«. 14 Stadtarchiv Chemnitz, 0129 Röhrsdorf, Nr. 39, S. 21. Schon vor diesem Erlass mussten die Zuchthäuser und Gefängnisse der Gestapo den zur Entlassung stehenden Häftling vorab melden. Die Gestapo entschied, ob der politische Häftling nach Hause entlassen wurde (verbunden mit der regelmäßigen Meldung bei der Polizei und zur weiteren geheimen Beobachtung) oder ob er umgehend im KZ Sachsenburg zu inhaftieren war.
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