Katalog
262 gefangene Die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur und das damit verbundene Ineinan- dergreifen von Terror, Täuschung und Aufbruchsstimmung erschütterte die politische Landschaft Deutschlands im Jahr 1933 bis ins Mark und führte zu massenhaften politi- schen Wanderungsbewegungen, nicht nur bei Mitgliedern und Sympathisanten liberaler und rechtsgerichteter Parteien. 1 Zahlreiche Gewerkschafter und Sozialdemokraten schlos- sen sich nationalsozialistischen Organisationen an, und auch eine Reihe von Kommunis- ten wechselte die politischen Seiten. Die Dimensionen dieses Phänomens sind, was die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) anbelangt, umstritten und wurden in der Vergangenheit häufig verzerrt dargestellt. Übertriebene Zahlenangaben finden sich bei so verschiedenen Zeitzeugen wie dem ersten Gestapo-Chef Rudolf Diels, und einem seiner hartnäckigstenWidersacher, dem Funktionär der illegalen KPD-Führung in Berlin, Herbert Wehner. Keineswegs waren, wie Diels nach dem Krieg in seinen Memoiren behauptete, etwa 70 Prozent der im Jahr 1933 neu aufge- nommenen SA-Männer in Berlin ehemalige Kommunisten. 2 Auch Wehners Erinnerungen, in denen er schrieb, dass im Jahr 1933 »Massen desillusionierter Mitglieder der Partei und ihrer Nebenorganisationen in die halbmilitärischen Organisationen der Deutschnatio nalen und schließlich in die SA und NSDAP« geflüchtet seien, zeichneten ein übertriebe- nes Bild. 3 In das andere Extrem verfiel ein Ende 1933 verfasster Bericht der KPD: »Keines- wegs kann von einem Desertieren und Ueberlaufen grosser Organisationsteile gespro- chen werden, wie dieses durch Gerüchte in der ersten Zeit verbreitet wurde. Eingehende Nachforschungen haben ergeben, dass es sich nur um einzelne Ueberläufer handelte, die uns allerdings oft ganze Organisationsteile durch Denunziationen vernichtet haben.« 4 Kontroverse Einschätzungen der Bedeutung des Überläufertums von Kommunisten präg- ten auch die Historiografie der letzten Jahrzehnte. Detlev Peukert und Hartmut Mehringer kamen bei ihren Studien zum kommunistischenWiderstand im Ruhrgebiet bzw. in Bayern zu dem Schluss, dass der Wechsel von Kommunisten zu SA und NSDAP »insgesamt wohl Udo Grashoff OPPORTUNISMUS UND ÜBERLÄUFERTUM IM KONZENTRATIONSLAGER SACHSENBURG IM JAHR 1933
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