Katalog
265 Frankenberg ein Schwerpunkt opportunistischen Verhaltens und demonstrativen Gesin- nungsverrats. »Viele Genossen sind dort in Sachsenburg versaut worden«, beklagte Simo- nis in einem kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verfassten Bericht. Ein Chemnitzer Kom- munist hätte sogar ein Ständchen für den SA-Lagerleiter gedichtet, dass diesem zum Geburtstag dargebracht wurde. Für Simonis war das die »Krone der politischen Charak- terlosigkeit«. 16 Sachsenburg war keineswegs das einzige frühe Konzentrationslager, in dem einstige kommunistische Funktionäre zu Renegaten wurden. Auch im sächsischen Konzentrations- lager Colditz ereigneten sich, wenngleich zu einem etwas späteren Zeitpunkt, mehrere Fälle von Opportunismus und politischem Überlaufen. Für die Zeit von November 1933 bis Mai 1934 listete ein KPD-Bericht fünf Namen von ehemaligen kommunistischen Funktio- nären auf, die auf verschiedene Weise ihrer Partei untreu geworden waren. Der ehemalige KPD-Landtagsabgeordnete Hugo Breitenborn beispielsweise hatte sich rasch mit den veränderten Machtverhältnissen arrangiert. Als gelernter Maurer war er beimNeubau der NSDAP-Kreisleitung Colditz als Polier eingesetzt worden. »Dort hat er die 80–120 Sträflin- ge in der schlimmsten Art und Weise schikaniert und angetrieben und der Lagerleitung die dagegen rebellierenden Genossen gemeldet«, berichtete ein Mitinhaftierter, der selbst zu den Denunzierten gehörte. Im August 1934 sei Breitenborn, ein »Renegat schlimmster Sorte«, entlassen worden. 17 Noch weiter in seiner Anbiederung an den poli- tischen Gegner war der aus Dresden stammende frühere Stadtrat Alfred Schrapel gegan- gen. Schrapel, der auch Funktionär der Freidenker sowie der Internationalen Arbeiterhilfe war, soll dem Bericht eines Mitinhaftierten zufolge »in der Propaganda-Abteilung der NSDAP-Kreisleitung Colditz als Häftling gearbeitet und mit den Amtswaltern eine wider- wärtige Freundschaft gehalten« haben. Mit Eingaben an die Gestapo und die sächsische Regierung, in denen er Hitlers Politik als »wirklichen Sozialismus« verherrlichte, hätte er im April 1934 seine Freilassung erreicht. Auch Walter Eichhorn, ein ehemaliger KPD-Funk- tionär ausWurzen, hatte sich gegenüber den Nationalsozialisten als Renegat präsentiert. Beispielsweise hatte er im Frühjahr 1934 vor Amtswaltern der NSDAP und der SA einen Vortrag gehalten, bei dem er seine weltanschauliche Abkehr vom Kommunismus schilder- te und gleichzeitig um Aufnahme in die NSDAP ersuchte. 18 Erfolg war ihm damit zwar nicht Juni 1933 (BArch, SAPMO, RY 1/I 3/15/29, Bl. 3f.). 10 Vgl. Daniel Siemens, Horst Wessel. Tod und Verklärung eines Nationalsozialisten, München 2009, S. 76f. 11 Vgl. Klaus Rainer Röhl, Fünf Tage im November. Kommunisten, Sozialdemokraten und Nationalsozialisten und der BVG-Streik vom November 1932 in Berlin. In: Diethart Kerbs/ Henrick Stahr (Hg.), Berlin 1932. Das letzte Jahr der Weimarer Republik, Berlin 1992, S. 161–177, hier S. 172–174; Rudolf Engel, Feinde und Freunde, Berlin 1984, S. 77. 12 Zitiert in: Hans-Rainer Sandvoß, Die »andere« Reichs- hauptstadt. Widerstand aus der Arbeiterbewegung in Berlin von 1933 bis 1945, Berlin 2007, S. 276. 30 Prozent waren zunächst zum Widerstand bereit, 50 Prozent blieben passiv. Diese Einschätzung entspricht laut Sandvoß KPD-internen Zahlen. 13 Karl Kresser, Im Kampf gegen Faschismus und Krieg für Freiheit und Frieden in den Jahren der Illegalität 1933 bis 1945 (BArch, SAPMO, SgY 30/1563, Bl. 9–43, zit. 15). 14 Beschluss der ZPKK, 17.6.1957 (BArch, SAPMO, DY 30/IV 2/4/465, Bl. 75f.). 15 Rudolf M., Lebenslauf, 10.11.1953 (BStU, MfS, HA IX, Nr. 22162, Bl. 130– 133, zit. 131). 16 Fritz Simonis, Bericht, Leipzig, 26.2.1948 (BArch, SAPMO, RY 1/I 2/3/124, Bl. 81–83, zit. 81f.). 17 Hugo Gräf, An Albert, 12.12.1935 (BArch, SAPMO, DY 30/IV 2/4/376, Bl. 159–161, zit. 159). 18 Ebd. Der Titel des Vortrags lautete Gräf zufolge: »Vom Liberalismus über die Kommune zum Dritten Reich«.
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