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267 beschieden, vielmehr sei er, so berichtete ein Mitgefangener »von der Kreisleitung der NSDAP als Konjunkturpolitiker und Zyniker erkannt« worden. 19 Aber auch Einhorn wurde bald aus dem Konzentrationslager entlassen und fand Beschäftigung beim Flughafenbau in Wurzen. Während es sich jedoch bei diesen und anderen Fällen von Überläufertum im KZ Colditz um Einzelfälle handelte, nahm das Renegatentum im Konzentrationslager Sachsenburg eine kollektive Dimension an. Ein Trio ehemaliger KPD-Funktionäre spielte dabei eine zentrale Rolle: Die Leipziger Walter Otto und Fritz Dasecke und der Chemnitzer Heinrich Wesche. Als gewählte Politiker der KPD hatten alle drei zur Zeit der Weimarer Republik einen gewissen Bekanntheitsgrad innerhalb Sachsens erlangt. Walter Otto war Vorsitzen- der der kommunistischen Bezirkstagsfraktion in Leipzig gewesen. Fritz Dasecke hatte sich als Stadtverordneter der Leipziger KPD insbesondere für die Linderung der Not der Arbeitslosen eingesetzt (bzw. aus deren Notlage politisches Kapital zu schlagen gesucht) und sich in leidenschaftlichen Debatten einen Namen als »Scharfmacher« erworben. 20 Bei HeinrichWesche schließlich handelte es sich um einen Kommunisten der ersten Stun- de, der im JaMnuar 1919 von der USPD in die KPD gewechselt war. Er wirkte seit 1920 als Abgeordneter im Chemnitzer Stadtrat und übte zeitweise führende Funktionen innerhalb des Chemnitzer KPD-Bezirks aus, unter anderem als Politischer Leiter. Zwischenzeitlich war Wesche, der zu den Führern der »Chemnitzer Linken« zählte, sogar Kandidat des ZK der KPD. In den letzten Jahren der Weimarer Republik hatte er sich im illegalen Roten Frontkämpferbund gegen den erstarkenden Nationalsozialismus engagiert. Noch im Janu- ar 1933 war er in Chemnitz zum Stadtverordnetenvorsteher gewählt worden. 21 MOTIVE DES POLITISCHEN SEITENWECHSELS Nur wenige Monate später hatten sich die drei ehemaligen KPD-Politiker den Jargon der Nationalsozialisten zu Eigen gemacht und plädierten dafür, Hitlers Politik zu unterstützen. Was könnte Otto, Dasecke und vor allem Wesche dazu bewegt haben, gegenüber dem politischen Gegner nicht etwa nur zu kapitulieren, sondern sich sogar vor deren ideolo- gischen Karren spannen zu lassen? Zunächst muss festgehalten werden, dass sich alle drei Kommunisten seit März 1933 in Schutzhaft befanden. Daher wird man hinsichtlich des politischen Richtungswechsels kaum von einer freien Entscheidung sprechen können. Andererseits gibt es jedoch nur wenige Anhaltspunkte dafür, dass Terror und Einschüch- terung eine maßgebliche Rolle spielten. Am ehesten dürfte das noch auf HeinrichWesche zutreffen, der vor seiner Überführung ins KZ Sachsenburg zunächst Opfer von Terror und 19  Johannes Schellenberger, Bericht über den Aufenthalt des Gen. Sch. im K.L. Colditz u. Sachsenburg, März 1936 (BArch, SAPMO, DY 30/IV 2/4/376, Bl. 135–141, zit. 135). Schellenberger erinnerte an den Titel von Eichhorns Vortrag: »Vom Marxismus zum Nationalsozialismus«.  20  Sebastian Thiem, Opposition aus dem Rathaus. Verfolgung und Widerstand Leipziger Ratsherren und Stadtverordneter während der nationalsozialistischen Diktatur 1933 bis 1945, Magisterarbeit Leipzig 1995, S. 54.  21  Vgl. Mike Schmeitzner/FrancescaWeil, Sachsen 1933–1945. Der historische Reiseführer, Berlin 2014, S. 26.

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