Katalog
· 57 · richten und sie dann einige Monate dortlas sen. Zu Ostern will ich dann mit der ganzen Familie wenn es möglich ist hinfahren und dann gleich nach Wachwitz ziehen. Dann wird mir 1902 so unendlich schwergeprüften Manne endlich wieder das volle Glück leuch ten. Doch ich sehe ich bin wieder egoistisch. Ich habe es ja noch mit keiner Stelle er wähnt, wie unendlich schwer Dein armes Mutterherz jetzt gelitten haben muß. Und zwar hast Du ein doppeltes Weh gehabt. Auch der arme Papa wird namenlos gelitten haben. Mit inniger Liebe umarme ich dich als Dein gehorsamer Sohn Friedrich August.« 4 Mit diesem Brief ist alles gesagt. Er zeigt ganz deutlich den Seelenzustand Friedrich Augusts, wie er sich fühlte und wie er dachte, wie sehr er Luise liebte. Er hatte immer noch nicht bemerkt, dass es bei seiner Frau nicht (mehr) so war. Eine großmütige Geste, dass Friedrich August Luise verziehen hätte. Verständlich ist, dass das Grundvertrauen, das eine Beziehung ausmacht, aufgrund von Luises Untreue extrem erschüttert war. Man kann ihre Flucht nicht unter dem Aspekt von heute betrach ten, denn es war Anfang des 20. Jahrhun derts unmöglich, dass eine Frau ihres Stan des die Grenzen dermaßen überschritt. Beweise für die Scheidung Luise und ihre Begleiter wurden schließlich einige Tage nach der Flucht von der sächsi schen Kriminalpolizei aufgespürt und dau erhaft beschattet. Täglich erreichte den Polizeipräsidenten von Dresden ein Tele gramm. Ausführlich berichtete der Krimi nalkommissar Arthur Schwarz in Briefen vom Tagesablauf der Kronprinzessin. Für die Scheidung wurden Beweise gesammelt: Skizzen von der Aufstellung der Betten in den von Giron und Luise bewohnten Hotel zimmern und Fotos des Liebespaares. Die Flucht wird öffentlich Im Dresdner Journal war noch nicht sofort von der Flucht Luises die Rede. Die Öffent lichkeit war zunächst informiert worden, dass Luise nach Salzburg gereist und wegen einer Erkrankung vorerst nicht zurückkom men konnte. Der erste Presseartikel erschien am 22. Dezember 1902, und die Flucht wur de offiziell bekannt gegeben. Der Polizei präsident von Dresden, Albin le Maistre, sah bereits am 23. Dezember 1902 eine große Gefahr in der Presse und schrieb an seinen Kriminalkommissar Schwarz, der Luise in Genf überwachte: »Die Presse wird die Wie deraufnahme Luisa’s in Sachsen vollends noch unmöglich machen.« 5 Und wie recht er behalten sollte! Luise liebt Giron – das Aus für Friedrich August und die Kinder? Luise dachte zu diesem Zeitpunkt keines wegs an eine Rückkehr nach Dresden. Sie schrieb ihrer Mutter am 26. Dezember 1902 aus dem Genfer Hotel d’Angleterre einen Brief, dass sie unsagbar leide, aber Giron über alles liebe und sich von ihm nicht los reißen könne – trotz der grenzenlosen Qual der Sehnsucht nach ihren »5 Schatzerln«, also nach ihren fünf Kindern – nicht nach Friedrich August: »Geliebtes, armes Mam merl, Nie hätte ich es nur gewagt, dir zu schreiben, deine heutigen Zeilen haben mich tiefer getroffen, da sie mir unerwartet kamen u. ich kann vor Leid u. Schmerz kaum
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1