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· 110 · Wenn es ging, besuchte der König täg lich die Heilige Messe. Sie wurde von einem seiner Hofprediger, Franz Müller (1876– 1934) oder Heinrich Infalt, gehalten. Der König selbst war ein frommes und glau bensstrenges Glied der römisch-katholi schen Kirche. Er hatte diese Prägung in seiner Kindheit erfahren und gab sie an seine Kinder weiter. Der König war Souverän und Staatsoberhaupt, aber führte nicht die Regierungsgeschäfte. Das war Aufgabe des Gesamtministeriums, das sich aus den vom König berufenen Ministern zusammen setzte. Der König war laut Verfassung zwar der Vorsitzende des Gesamtministeriums, aber in der Praxis übertrug er diesen Vorsitz stets an einen Fachminister. Der Vorsit zende des Gesamtministeriums war der Regierungschef. Einen Ministerpräsidenten gab es im Königreich Sachsen nicht. Die Mi nister hatten sich beim König regelmäßig zu Ministervorträgen einzufinden, wo sie die aktuelle Lage vorstellten. Dadurch war der König über die Grundzüge des Regierungs handelns informiert, in das er aber nicht aktiv eingriff. Wenn das Gesamtministerium tagte, nahm der König mitunter an der Sit zung teil. Grundsätzlich war der König das Staatsoberhaupt, ja er verkörperte den Staat, aber alle Aufgaben in Politik, Verwal tung und Armee waren an Minister und Fachbehörden übertragen. Dem König war allein die Aufgabe geblieben, sein König reich zu repräsentieren. Das tat er, indem er andere Monarchen im In- und Ausland besuchte oder den Städten und Gemeinden seines Königreichs Besuche abstattete. Von den Tagesgeschäften der Regierung befreit, konnte der König so agieren, wie es traditionell von einem Monarchen erwartet wurde. Er und seine Familie lebten in der abgeschotteten Welt des Königshofes. Da der König die Spitze der ständisch geglie derten Gesellschaft darstellte, hatte er sich im Leben und Handeln von den niederen Ständen zu unterscheiden. Der Hof hatte dafür ein System von Regeln geschaffen, die der Distinktion des Königs dienten. Friedrich August III. hatte diese vormoder nen Normen verinnerlicht und lebte sie. Dazu gehörte es, die Speisen bei »Tafel« einzunehmen, deren Ablauf streng geregelt war und zu denen Angehörige des Hofes, in diesem Fall die Pagen und Kammerherren, »Tafeldienst« leisteten. Regelmäßig traf der König mit den Inhabern der Hofämter zusammen, die keine wirkliche Macht hat ten, aber das jahrhundertealte Zeremoniell aufrechterhielten. Der Hofstaat stand unter der Leitung des Oberhofmarschalls Hilmar Lebensmittelkarte für Brot bzw. Mehl, Mai/Juni 1918. Rechts: Kammerdiener Hohlfeld in Strehlen, Foto von Ermenegildo Antonio Donadini, um 1892. Im Sommer 1918 ging der Weltkrieg ins fünfte Jahr. Tausende Sachsen waren be reits gefallen oder verwundet worden, hin ter den Soldaten an der Front und ihren Angehörigen in der Heimat lagen entbeh rungsreiche Jahre. Der Mangel an Lebens mitteln bestimmte den Alltag. Die meisten hofften auf ein Ende des Krieges durch ei nen Sieg der Mittelmächte. 1918 schien die ser Siegfrieden zum Greifen nahe, nachdem in Russland die Bolschewisten die Macht ergriffen, einen Waffenstillstand erbeten und am 3. März 1918 den Friedensvertrag von Brest-Litowsk unterzeichnet hatten, der den Ersten Weltkrieg im östlichen Europa beendete. Der sächsische Königshof vor 1918 König Friedrich August III. von Sachsen war nominell Oberbefehlshaber der königlich-sächsischen Armee und preußischer Gene ralfeldmarschall, hatte aber zu Beginn des Krieges als einziger der vier deutschen Kö nige darauf verzichtet, den Oberbefehl über seine Armee auszuüben. Er blieb in Sachsen und reiste nur zu gelegentlichen Front besuchen zu »seinen Sachsen«, die »im Felde« standen. Sein Lebensalltag blieb weitgehend so, wie er vor Beginn des Krie ges gewesen war. 5
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