Katalog
178 einen Eindruck von den Problemen, die die Vermittlung von Wissen im 18. Jahrhun- dert regelmäßig behinderten. Keine noch so sichere Chronologie von Briefen, einschließlich jener, von denen man zwar weiß, die aber nicht erhalten sind, kann eine Vorstellung davon geben, welcher Anstrengung es bedurfte, eine Erwiderung auf einen Brief zu entwerfen und diese wie- derum auf den Weg zu bringen. Wir sehen uns dabei einem Spezialgebiet gegenüber, das sich weitgehend auf die Untersuchung einzelner druckgrafischer Werke und einen möglichst zügigen Austausch von Informationen darüber beschränkt. In einem Brief konnten zudemmehrere, nicht miteinander in Beziehung stehende Anliegen zur Spra- che kommen. So hat Heineken zum Beispiel in ein und demselben Brief einerseits Aus- kunft über den Stecher Maso Finiguerra erbeten, andererseits detaillierte Informationen über die Meinung der Pariser »Connoisseurs« zu farbigen Druckgrafiken der Stecher familie Gautier-Dagoty, sei es zu deren Gemeinschaftsarbeiten, sei es zuWerken einzel- ner Familienmitglieder. Wann immer er auf diese Künstler zu sprechen kam, fügte er einschränkend hinzu: »tous ce que je sçais d’eux« (»alles, was ich von ihnen weiß«); auch seien zweifellos seine Faszikel zur Gallerie Universelle 9 unvollständig, und er sei beständig bemüht, in Erfahrung zu bringen, »ob davon genügendmit den Namen der Porträtierten und den Meistern vorhanden ist, nach denen diese Porträts [sc. berühmter Männer und Frauen] gestochen wurden«. 10 Man möchte meinen, dass derjenige, der sich die Zeit nimmt, jemand anderen mit einer oder gar mehreren Fragen zu kontaktieren, auch mit einer wie immer gearteten Antwort rechnet – wobei keine Antwort auch eine Antwort ist. Wissenschaftliche Korrespondenz basierte somit auf einemgegenseitigen Vertrauen in die Seriosität und Zuverlässigkeit des Briefpartners, was nicht heißt, dass ein tatsäch- lich zufriedenstellendes Echo auf die Ausgangsfrage immer garantiert war. Es bedurfte daher immer auch wieder einer Rückbesinnung und Neuorientierung, wollte man ge wonnene Einzelergebnisse zu einem Ganzen zusammenfügen. Die Beschäftigung mit der eigenen Sammlung von druckgrafischen Blättern brachte allmählich eine eigene Methode des Vergleichens hervor. 11 Nicht von ungefähr beglück- wünschte Joly seinen Briefpartner Heineken zu jener spezifischen Gelehrsamkeit, die sich im ersten Band des 1778 erschienenen Dictionnaire niedergeschlagen habe, eine Gelehrsamkeit, die ihn ihrerseits befähigt habe, »so manches Mal die [Stiche des] Mar- canton von [denen des] Agostino Veneziano, die der Marco di Ravenna und Francia von denen Raffaels und Giulio Romanos zu unterscheiden«. 12 Das vergleichende Sehen und Unterscheiden der grafischen Techniken und Manieren war somit keineswegs nur ein angenehmer Zeitvertreib im stillen Kämmerlein, es entstand daraus vielmehr ein be stimmtes Expertenwissen, das die Grundlage für die Arbeit zukünftiger Generationen von Expertenwerden sollte. Neue Vorstellungen von einemdruckgrafischen Repertoire wurden dabei anfänglich zumeist in Form handschriftlicher Notizen oder selbst aufge- stellter Verzeichnisse unter den Kennern herumgereicht. Die von Charles-Antoine Jombert publizierten Kataloge zu Sébastian Le Clerc, Ste- fano della Bella und Charles-Nicolas Cochin fils imBlick, erklärte Joly: »Es wäre zu wün- schen, und ich betreibe das mit Nachdruck, dass er uns sofort eine komplette Sammlung gibt und in der Folge von allen Meistern, die wir die Kleinmeister nennen.« 13 Die Verla- gerung des Fokus von einzelnen Meistern auf verschiedene Genres, Bildgattungen und Sachgebiete (wie etwa die Darstellung von Ballons) veränderte das Studium der Druck- grafik in demMaße, wie man sich von dempassionierten Laien abwandte. Diesen über- ließ man seinen Vergnügungen, seinem persönlichen Geschmack und seinen Spekula-
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