Katalog
12 »Der Umriss allein zeigt hier den Einklang des Ganzen und deutet nicht nur auf den tiefgründigen Denker hin, der sich abstrakten Spekulationen hingibt, sondern auch auf Aufgeschlossenheit, Wissen, Geschmack und Gewandtheit, angenehme Erinnerungen und sinnliche Neigungen. Nichts in dieser Kontur ist stark ausgeprägt, man sieht weder Winkel noch Lücken und so ist alles in sich durch eine Art Weichheit und Ruhe, durch Verstand und Geschmack gekennzeichnet.« 1 – Mit diesen Worten beschrieb Johann Caspar Lavater (1741 – 1801) im ersten Band der 1781 erschienenen französischen und der 1789 erschienenen englischen Ausgabe seiner Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe den Typus eines Gelehrten, den er mit einem Por- trät eigens noch illustrierte. Ausgeführt wurde das Bildnis von dem englischen Kupfer- stecher Thomas Trotter (um 1750– 1803). Es handelt sich dabei um eine seitenrichtige und gleich große Kopie des berühmten Kupferstichmedaillons von Augustin de Saint-Aubin aus dem Jahr 1770, das Carl Heinrich von Heineken zeigt (Abb. 1, 2). Ob Heineken selbst ein Exemplar der Lavater-Ausgabe mit seinem Bildnis besessen hat, ist nicht bekannt, aber eher unwahrscheinlich. Die Verwendung seines Antlitzes als Prototyp eines Gelehrten hätte ihm jedoch sicher geschmeichelt. Herkunft und Lebenslauf Carl Heinrich Heineken wurde wahrscheinlich am 23. Dezember 1707 in Lübeck gebo- ren; sein genauer Geburtstag wie auch der Geburtsort waren bisher nicht zu ermitteln. Als gesichert gilt zumindest, dass er am 24. Dezember 1707 in Lübeck getauft worden ist. 2 Er entstammte einer künstlerisch geprägten bürgerlichen Familie. Sein Vater Paul Heineken (1674– 1740) kam aus Riga und war Maler, Zeichner und Kunsttheoretiker, 3 seine Mutter Catharina Elisabeth, geb. Oesterreich (1681 – 1757) (Abb. 3), war ebenfalls Malerin sowie Kunsthändlerin. In der Familie widmeteman sich vor allemder Erziehung des jüngsten Kindes Christian Heinrich (1721 – 1725), der am 27. Juni 1721 getauft wurde und später als das »LübeckerWunderkind« Berühmtheit erlangte (Abb. 4). Zu erwähnen sind noch vier weitere Geschwister, zwei Brüder und zwei Schwestern, über die bislang jedoch nichts Näheres bekannt ist. Die Eltern betrieben in ihremHaus einen Kaffeeaus- schank, der ein Treffpunkt kulturell interessierter Bürger war. Zu den Gästen und Freun- den der Familie zählten die Ratsherren Adolf (1669 – 1733) und Hermann Adolf le Fèvre (1708– 1745), der Komponist Georg Philipp Telemann (1681 – 1767) sowie der Satiriker Christian Ludwig Liscow (1701 – 1760). Zur engen Verwandtschaft gehörten der ebenfalls aus Lübeck stammende englische Hofmaler Sir Godfrey Kneller (1646 – 1723), einer der führenden Porträtisten der Zeit, und dessen Enkel, der spätere Galerieinspektor Fried- richs II. in Sanssouci, Matthias Oesterreich (1726 – 1778). Martin Schuster Carl Heinrich von Heineken Biografische Notizen
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