Leseprobe
9 sowie Papiere und Unterlagen, die noch nicht in Archivbestände eingeordnet waren. Dazu kommen Erinnerungsgegenstände, die sich einer solchen Systematik scheinbar ent- ziehen. Die Ansammlung der Dinge in Goethes Schubladen ist jedoch nur auf den ersten Blick nicht ›intentional‹ entstanden, denn auch von den meisten Souvenirs, die sich auf frühere Lebensphasen des Dichters beziehen, kann man annehmen, dass er sie in der letzten Zeit bei der Arbeit an seinem autobiografischen Projekt als Anschauungsmaterial zur Vergegenwärtigung früherer Erlebnisse und Zustände benötigte. 4 Im Gegensatz zur Detailgenauigkeit der Verzeichnung aller Schubladeninhalte ist auffällig, dass weder das Arbeitsvorzimmer mit den Mineralienschränken, noch die Bibliothek, die unmittelbar zum Arbeitsbereich gehörte, ebenso wenig die Bücher, die im Arbeitszimmer standen, hier erfasst wurden. Auch fand in dieser ersten Welle der Nachlassaufnahme das an das Arbeitszimmer angrenzende Schlafzimmer keine Erwähnung. Die erste Inventarisie- rungskampagne in Goethes Haus umfasste nur einen ausgewählten Teil des dort befind- lichen Bestands, konnte man doch auf schon vorhandene Kataloge und Verzeichnisse für einzelne Sammlungsbestände zurückgreifen oder hoffte das zumindest. Man interessierte sich hauptsächlich für den Arbeitsbereich, die Schaltzentrale des Goetheschen Wirkens, und notierte in anderen Räumen Einzelnes, das noch nicht erfasst war. Nicht eine inhalt- liche Systematik gab die Ordnung der Aufzeichnung vor, sondern die räumliche Anord- nung der Dinge. Besonders in Goethes Arbeitszimmer wurde diese Ordnung streng erhal- ten und bei der Herausnahme einzelner Papiere imAnschluss entweder wiederhergestellt oder doch zumindest genau dokumentiert. Dieser Raum wurde damit schon kurz nach dem Tod des Dichters zu einer Art Museum, in dem die Anordnung der Objekte zuein- ander wichtig war. Die Dinge als konkrete materielle Objekte bekamen damit eine eigene Bedeutung. Dieses ›Museum‹, das recht bald auch von Freunden und Verehrern Goethes besucht werden konnte, war nicht auf die eigentlichen Sammlungen konzentriert, son- dern bezog sich vor allem auf die Person des Dichters. Durch das beschriebene Verfahren bei der Bestandsaufnahme wurde ein einzigartiger Überlieferungszusammenhang geschaffen, der es bis heute ermöglicht, denArbeitsbereich Goethes detailgenau zu rekon- struieren und die Situation im März 1832 größtenteils mit den originalen Gegenständen vor Augen zu führen. 5 Im Jahr 1832 und danach wurde jedoch auch weiter an der Erfassung des gesamten Nachlasses einschließlich der Sammlungen, Hausratsgegenstände, Immobilien, Bar- schaften usw., für die es teilweise schon Einzelverzeichnisse gab, gearbeitet. 6 Mit der Lade charakterisiert den Besitzer bzw. bestimmte Interessen oder Lebenssituationen. Siehe dazu Ecker: Literarische Kramschubladen. 5 Dokumente und Gegenstände aus den Schubladen, die nicht sichtbar sind, befinden sich heute in den Depots und demArchiv der Klassik StiftungWeimar. 6 Die »Acta privata die Aufzeichnung des von Goetheschen Nachlasses in allen seinen Theilen betr.« von 1832, (GSA 38/ I, 3) dokumentiert den Erfassungsstand einzelner Sammlungs- bzw. Nachlassbestände und benennt Vor- schläge zur zügigen Inventarisierung der Spezialsammlungen. Im Zuge der Vorbereitung der Sanierung von Goethes Wohnhaus wurde die Akte 2018 von Stefanie Harnisch vollständig transkribiert.
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