Leseprobe

36 diesem Punkt zuvor ein Streit entstanden ist. 8 Wir sehen daran, dass die Publikation des Namens keine nebensächliche Angelegenheit ist; und zwar weder zu dem Moment, da der Code amAnfang des 20. Jahrhunderts in Kraft trat, noch erst recht für das gegenwär- tig gültige Regelwerk. Der Akt der Benennung wird vielmehr erst durch die gehörige Publikation abgeschlossen; erst hierdurch entsteht eine neue Adresse in der Nomenklatur und erst hierdurch erfährt die taxonomische Systematik eine Erweiterung. Mit der Benen- nung fügt der Verfasser der Erstbeschreibung dem »Katalog des Lebens [...] einenweiteren Eintrag hinzu«. 9 Hingegen braucht es keine Abbildung des durch den Namen bezeich­ neten Lebewesens (eine solche Abbildung kann aber im obigen Sinne als Hinweis gelten) und noch viel bemerkenswerter: Erst mit der neuesten Ausgabe des Codes ist die Fest­ legung eines Typusexemplars verpflichtend geworden. 10 ImFall vonGrays Mitteilung geschieht dies zwar, wenn auch nur implizit. Wir erfah- ren sogar von wem und wo das Tier geschossen worden ist, an dem Gray die Bestim- mung vornimmt. Selbst wer das Fell dem Museum zur Verfügung gestellt hat, wird mitgeteilt. Zugleich geht daraus allerdings hervor, dass die Gültigkeit der Mitteilung keineswegs unbedingt davon abhängt, dass weiterhin auf den Balg zugegriffen werden kann; wer könnte es Lady Hervey verdenken, falls sie den prächtigen Pelz wieder mit nach Hause genommen hat, als Bettvorleger, Trophäe an der Wand oder wärmendes Futter für den Wintermantel. Kurzum: Für alles, was aus einer Erstbeschreibung folgt, kommt es, vorausgesetzt die anderen Bedingungen sind erfüllt, zuletzt auf die formge- rechte Publikation an. Zwar geben das Fell und seine Merkmale Gray den Anlass dazu, die Nomenklatur zu erweitern. Aber entscheidend dafür, dass aus dem Wolf aus der Chinesischen Tartarei der Namensträger einer neuen Art wird, ist die kaum eine halbe Druckseite umfassende Mitteilung in den Proceedings . Und das bis heute, auch wenn die Revision der Taxonomie inzwischen aus der Art Canis chanco die Unterart Canis lupus chanco gemacht hat. 3. In der Literatur fehlt niemals der Hinweis, dass vermutlich erst etwa ein Fünftel bis ein Drittel aller Arten beschrieben worden ist, wobei hier mit Differenzen im Millionenbe- reich gerechnet wird. 11 ImAlltag geht es in der Taxonomie aber weniger umdie Beschrei- bung und Benennung neuer Arten als, kurz gesagt, umBuchhaltung. Wie viele undwelche Arten liegen vor, welche verschwinden, und dies stets in Bezug auf eine geografische Ein- heit, einen Landstrich, einen eng umgrenzten Lebensraum, etwa ein Tal oder einen See. Materiell setzt sich diese Buchhaltung zunächst in einer Sammeltätigkeit um, deren 8 Vgl. ebd., Art. 12.3.  9 Ohl: Die Kunst der Benennung, S. 75.  10 Vgl. International Code of Zoological Nomenclature, Art. 16.4 und Art. 72.3.  11 Vgl. Winston: Describing Species, S. 4; Ohl: Die Kunst der Benen- nung, S. 258 f.  12 Siehe Fagan: Wallace, Darwin, and the Practice of Natural History.  13 Siehe Star, Grie-

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