Leseprobe

37 wichtigste Depots naturhistorischeMuseenwie das Londoner bilden. Diese Sammeltätigkeit ist seit dem 19. Jahrhundert ein professionelles, teils auch kommerzielles Geschäft; Alfred RusselWallace, Co-Autor der Theorie der Entstehung der Arten, hat seinen Lebensunterhalt über Jahrzehnte mit Sammlungsexpeditionen in Südamerika und Asien bestritten. 12 Zur taxonomischen Buchhaltung gehört, auch deshalb habe ich diese Bezeichnung gewählt, ein erhebliches Maß an paperwork . Einschlägig untersucht ist dieser Punkt für das Museumof Vertebrate Zoology, das amAnfang des 20. Jahrhunderts an der University of California in Berkeley eingerichtet wurde. 13 Sein erster Direktor, Joseph Grinnell, hatte genaue Vorstellungen davon, welche Aufzeichnungen das Material für das Museum begleiten mussten. 14 Jedem Sammler im Feld wurde ein Journal mitgegeben, in dem Tag für Tag der Ertrag an Exemplaren zusammenmit Aufzeichnungen zur Flora amSammel­ ort und zu dem Verhalten des jeweiligen Tiers möglichst ergänzt um Fotografien festzu- halten war. Das Journal wurde im Museum archiviert und auf seiner Grundlage wurden drei Karteikarten angelegt, die alle Informationen nach Erwerb, zuständiger Abteilung und Quellenangaben aufschlüsselten. Schon im Feld wurde zudem jedes Exemplar mit einem Etikett versehen, auf dem Tag, Fundort, der Name des Sammlers sowie eine fort- laufende Registriernummer zu vermerken waren. Im Idealfall erhielt man auf diese Weise eine vollständig untereinander verknüpfte Kette von Aufzeichnungen, die ohne Probleme vom Exemplar in der Sammlung zum Journal oder zur Kartei führte und umgekehrt. Als Grinnell’s System ist diese Vorgehens- weise bis heute in Gebrauch. Grinnell war aber keineswegs der erste, der auf sorgsame Schreibarbeit Wert legte. Schon Anfang der 1890er-Jahre verwendete sein zwanzig Jahre älterer Kollege C. Hart Merriambei seinen Sammelexpeditionen standardisierte Journale und Vordrucke. 15 Entsprechend überrascht es nicht, dass »note taking« für angehende Naturforscher einen wichtigen Aspekt ihrer Ausbildung bildete und weiterhin bildet. 16 Warum das paperwork so viel Bedeutung besitzt, wird klarer, wenn man sich das Ziel dieser Sammelunternehmungen vor Augen führt. Wie Grinnell schreibt, geht es nicht darum, die größtmögliche Menge von tierischen Überresten zusammenzutragen, es geht vielmehr darum, den Wert des Sammelguts »dauerhaft« zu erhalten. 17 In diesem Sinne sammelt man nicht Tiere, sondern, noch einmal Grinnell, einen »original record«, das heißt Daten. 18 Nützlich sind diese Daten aber nur, wenn alle erwähnten Angaben aufge- zeichnet worden sind. Erst dann ist es zum Beispiel möglich, die Veränderungen der Fauna in einembestimmten Gebiet über die Zeit zu rekonstruieren, oder imHinblick auf Grinnells eigene Forschungen, die Verteilung von Arten in verschiedenen Gebieten zu untersuchen. semer: Institutional Ecology, ›Translations‹ and Boundary Objects; Griesemer: Modeling in theMuseum. 14 Grinnell: The Methods and Uses of a Research Museum, S. 33 f.  15 Kohler: All Creatures, S. 151.  16 Ebd., S. 153.  17 Grinnell: TheMethods and Uses of a ResearchMuseum, S. 34. Meine Übersetzung.  18 Ebd., S. 35.

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