Leseprobe

122 Kristin Becker Jurassic Park 1 . 0. Wie die Dinosaurier in die Welt kamen 1 Sie sind Kreaturen, die die Menschen faszinieren – wegen ihrer Größe, ihrer Ungeheuer- lichkeit und wohl auch, weil sie tot sind: Dinosaurier. Als moderne Fabelwesen zwischen Wissenschaft und Fantasie sind die Riesenechsen überall auf der Welt präsent, nicht erst seit Steven Spielberg mit seiner Filmreihe Jurassic Park für internationale popkulturelle Aufmerksamkeit gesorgt hat. Dinosaurier sind schon seit dem 19. Jahrhundert ein globalisiertes Kulturgut. Ihre Überreste, die inMuseen zu bestaunen sind, scheinen dabei weniger Naturalien als ›natür- liche Artefakte‹ – menschliche Schöpfungen – zu sein, ein Produkt aus den Werkstätten von Künstlern und Wissenschaftlern. So versteht beispielsweise der US-amerikanische Kunsthistoriker W. J. T. Mitchell die Entdeckung der Dinosaurier im 19. Jahrhundert als ›natürliche Erfindung‹, die eng mit Modernisierungsprozessen verbunden war: »[T]he dinosaur was (and is) a definitely modern animal, at once a discovery and a creation of modern science, both a ›natural kind‹ and an artificial construction. Its irreducibility to any previously known group, its status as a novel public spectacle, and its hybrid charac- ter as both ›bird/reptile‹ and ›artificial/natural‹ made it the epitome of a modernized nat- ural history.« 2 Mitchells Idee des Dinosauriers betont zwei Gedanken, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen: die Frage nach der Konstruktion dieses ›modernen Tieres‹ und der Blick auf dessen Inszenierung. Beides war (und ist) nicht nur geprägt durch den Wissenschaftsdiskurs, sondern maßgeblich mitbestimmt durch ästhetische Darstellun- gen, die zeitgenössische Naturforscher und Künstler entwickelten, umdie ausgestorbenen Tiere zu vergegenwärtigen. Die sie begleitenden Paratexte fungierten als Erklärdokumente und transportierten zugleich Narrative, die über die visuelle Präsentation hinausgingen und gesellschaftliche Fragestellungen spiegelten – etwa die nach Sterblichkeit. 1 Dieser Aufsatz basiert auf Ausführungen in meinem Buch Affe, Mond und Meer. Inszenierungen von Wissen und Wissenschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert (2014).  2 Mitchell: The Last Dinosaur Book, S. 138 f. Hervorhebung im Original. Mitchell verweist hier auch auf die »dinosaurian duality«, die der britische Paläontologe Harry Seeley 1887 mit der Einteilung der Dinosaurier in Saurischia (Echsenbecken­ saurier) und Ornithischia (Vogelbeckensaurier) festlegte. Ebd., S. 138.  3 Die ersten Funde und wissen- schaftlichen Berichte gab es in England bereits in den 1810er- und 1820er-Jahren vor allem durch Gideon Mantell undWilliam Buckland. Vgl. Semonin: Empire and Extinction, S. 172. Owens Bericht für die British Association for the Advancement of Science, in der die Bezeichnung »dinosaurian« erstmals auftauchte,

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1