Leseprobe

123 1.  Aufmarsch der Echsen Bereits die Namensgebung verweist auf die zentrale Bedeutung kultureller Imagination, diemit den fossilen Reptilien verbundenwar und ist: Dinosaurier bedeutet abgeleitet vom Griechischen ›schreckliche Echse‹. Geprägt wurde der Begriff 1842 vom britischen Ana- tom Richard Owen, 3 der im europäischen Wissenschaftsbetrieb der Jahrhundertmitte eine Schlüsselfigur ähnlich wie Charles Darwin oder Thomas Henry Huxley darstellte. 4 Seine weitläufigen Forschungsinteressen waren paradigmatisch für eine zeitgenössische Wissens- und Wissenschaftskultur, die sich im Sinne der Humboldt’schen Universalge- lehrtheit formierte und im Auftrag der Welterklärung verstand. Die übergreifende Klassifizierung bzw. Namensgebung der Dinosaurier reflektierte weniger eine formelle Charakterisierung, sondern zielte auf die bedeutungsgeladene, mythosinspirierte Ungeheuerlichkeit der fossilen Tiere. Owen schuf damit eine Ordnung ausgestorbener Reptilien, die für seine wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Ambitionen von Bedeutung war, 5 vor allem aber eine wichtige Symbolträgerin der sich rapide verändernden Naturforschung wurde. Während der Affe fast zeitgleich zumNega- tiv-Maskottchen der Evolutionsbiologie mutierte, erschien der Dinosaurier als wissen- schaftlich aufgeklärter Nachfolger vonmärchenhaftenDrachen undMonstern. 6 Zugleich implizierte die formelle Namensgebung eine taxonomische Zähmung dieser noch größ- tenteils unerklärlichen prähistorischen Tiere, die in der Folgezeit zu Aushängeschildern von Paläontologie und naturhistorischen Museen wurden. Sie nahmen damit eine wich- tige Funktion in der Öffentlichmachung von Forschung ein, die sich mit Vorgeschichte beschäftigte, einem Wissenschaftsbereich, der im 19. Jahrhundert großflächig wuchs, nicht zuletzt rund um die Frage nach der Abstammung des Menschen. Mit der Namensgebung prägte Owen zunächst den Wissenschaftsdiskurs, um zehn Jahre später noch einen Schritt weiter zu gehen und die Dinosaurier auch in die Gesell- schaft einzuführen. Entscheidend dafür waren die lebensgroßen Modelle, die der engli- sche Bildhauer und Maler Benjamin Waterhouse Hawkins zwischen 1852 und 1854 ent- warf. 7 Hawkins interessierte sich selbst stark für wissenschaftliche Tiersammlungen und Naturforschung. 8 Er erstellte die Fisch- und Reptilien-Illustrationen für Darwins fünfbän- dige Edition The Zoology of the Voyage of HMS Beagle (1838– 1843) und lieferte außerdem das bekannte Vergleichsbild von Menschen und Menschenaffen, das Huxley provokativ in Evidence as to Man’s Place in Nature (1863) abdruckte. erschien 1842. Vgl. Owen: Report on British Fossils, S. 102 f. In diesem Kontext wird jedoch auch immer wieder die Jahreszahl 1841 genannt, die Hugh Torrens zufolge auf eine irreführende Angabe Owens zurückzuführen ist, der damit strategische Ziele verfolgte. Vgl. Torrens: Politics and Paleontology, S. 181ff.  4 Vgl. dazu auch die Owen-Biografie von Rupke: Richard Owen.  5 Vgl. Desmond: Designing the Dinosaur. 6 Vgl. Mitchell: The Last Dinosaur Book, S. 87ff.  7 Zur Karriere und künstlerischen Tätigkeit von Benjamin Waterhouse Hawkins vgl. McCarthy: The Crystal Palace Dinosaurs, S. 13 ff. sowie Bramwell, Peck: All in the Bones.  8 Vgl. Bramwell: The Life and Times of Benjamin Waterhouse Hawkins, S. 15.

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