Leseprobe
127 3. Auge statt Text Es sind also Paratexte wie die zitierten Beschreibungen, die die Dinosaurier von Syden- ham bekannt machten und für die Nachwelt erhielten, obwohl ihr Schöpfer eigentlich ein anderes Konzept vertrat. Hawkins ließ an seinen Tierplastiken bewusst keine Beschriftungen oder Erklärtafeln anbringen. 21 Allein das Auge sollte den Betrachter zur Erkenntnis führen. Offensiv plädierte er für das Konzept eines visuellen Lehrens und Lernens – »teaching directly through the eye«. 22 In einemVortrag vor der einfluss reichen Londoner Society of Arts argumentierte Hawkins, dass die fossilen Reste, wie sie in den naturkundlichen Museen ausgestellt wurden, für einen Großteil der nicht- wissenschaftlichen Besucherschaft nur schwer oder gar nicht ›lesbar‹ seien: »Even our national collection at the BritishMuseum, though containing some of the finest fossils that have been collected throughout the world, from their detached state, there being only two or three skeletons for comparison, offers little more than objects of wonder, literally only dry bones or oddly-shaped stones to the majority who see them.« 23 Dem wollte der Künstler eine, wie er es nannte, »novelty of a first acquaintance« 24 entgegen- setzen. Die Besucher sollten also keine wissenschaftlichen Abhandlungen lesen oder unerklärliche Knochenfragmente anschauen müssen – sondern die Tiere erleben. Hawkins sah sich als Schöpfer, der die Abbilder lang ausgestorbener Lebewesen wie- derauferstehen lassen konnte: »[T]o call up from the abyss of time and from the depths of the earth, those vast forms and gigantic beasts which the Almighty Creator designed with fitness to inhabit and precede us in possession of this part of the earth called Great Britain.« 25 Die Dinosaurier-Modelle waren dementsprechend auch dazu bestimmt, ein im heu- tigenWortlaut ›kreationistisches‹ Welt- undWissenschaftsbild zu bestätigen, das Hawkins und Owen propagierten und das imGegensatz zu den evolutionären Theorien stand, die zu dieser Zeit zunehmend Verbreitung fanden. 26 Dabei enthielt Hawkins’ Heraufbeschwö- rung der vorsintflutlichen 27 Giganten und deren explizite Verortung in Großbritannien dezidiert den Beiklang eines britischenNationalismus, bedurfte es doch einer besonderen, gottgegebenen ›fitness‹, also Tauglichkeit, diesen Teil der Welt nicht nur zu bewohnen, sondern zu beherrschen (Abb. 3 a, b). und »gross delusion«. Zit. n. Bramwell: The Life and Times of Benjamin Waterhouse Hawkins, S. 26. 20 Anonymus: Guide Books to the Crystal Palace, S. 242. 21 Vgl. Marshall: ›A DimWorld, whereMonsters Dwell‹, S. 293. 22 Hawkins: On Visual Education as Applied to Geology, S. 444. Ausgehend von den Fos- siliensammlungen und -studien britischer und französischer Provenienz hatte Hawkins zunächst Skizzen und schließlich seine Skulpturen entworfen, mit denen er den prähistorischen Tierwesen eine Körper- lichkeit und vor allemein greifbares, d.h. konsumierbares Bild in der Gegenwart verschaffte. 23 Hawkins: OnVisual Education as Applied to Geology, S. 444. 24 Ebd. 25 Ebd. 26 Vgl. Marshall: ›A DimWorld, where Monsters Dwell‹, S. 294. 27 Die Dinosaurier wurden wiederholt als »antidiluvian« (vorsintflutlich) bezeichnet. Darin zeigt sich ein Verweis auf die Einordnung der prähistorischen Tiere in die göttliche Schöpfungsgeschichte. Vgl. Marshall: ›A DimWorld, where Monsters Dwell‹, S. 295.
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