Leseprobe

22 lieferten Katalogen, geben Aufschlüsse über die Anordnung der Objekte im Schrank. Die Untersuchung solcher Möbel in ihrer spezifischen Materialität kann daher für die wissenschaftshistorische Sammlungsforschung von großer Bedeutung sein. Das zunehmende Interesse an der Materialität von Objekten wurde methodisch durch den material turn begünstigt, der seit den 1980er Jahren Konjunktur in den Kultur- wissenschaften hat. 1 Vor allem systematische Entwürfe aus der Kultursoziologie haben grundlegend neue theoretische Perspektiven auf Objekte und die Interaktionen zwischen Dingen und Subjekten eröffnet. 2 Die Dingforschung hat sich inzwischen zu einem inter­ disziplinären Wissensfeld ausgedehnt, das die Beziehung von Menschen und Dingen bzw. Objekten (diese Begriffe werden meist synonym gebraucht) in den Mittelpunkt stellt, denn »Dinge sind notwendige Bestandteile sozial-kultureller Praktiken, in denen sie effektiv wirken und in denen mit ihnen umgegangen wird«. 3 In den Kulturwissen- schaften hat sich in den letzten Jahren vor allem die materialorientierte Epistemologie weiterentwickelt. 4 Der Blick hat sichweg von den Ideen und Absichten derWissenschaft- ler mehr auf ihre Praktiken, die angewendeten Techniken und Gegenstände sowie die damit verbundenen Orte und Räume gerichtet. Wissenschaftliche Forschung wird als Handlungsform betrachtet. Die Erzeugung empirischer Daten und schriftlicher Ergeb- nisse basiert dabei auf dem implizitenWissen und Können aller involvierten Akteure im Umgang mit ihren jeweiligen Gegenständen. Bei diesen Ansätzen spielen handlungs- strukturierende Eigenschaften von Objekten eine große Rolle. Oft wird den Dingen eine Handlungsmacht ( agency) zugesprochen, die in die Handlungsfelder der menschlichen Akteure hinein wirken. 5 In diesem Sinne stehen in den neueren Forschungen die Hand- lungsabläufe und die Verhaltensroutinen der Akteure imFokus, sie nehmen die Materia­ lität und Funktionalität der beteiligtenObjekte in den Blick und fokussieren zugleich auf kollektive Sinnzuschreibungen. 6 Dieser Ansatz lässt sich flankieren durch das Konzept der Affordanz, das zunächst wahrnehmungspsychologisch aus der Perspektive des Sub- 1 Der material turn entwickelte sich als eine Folge verschiedener neuer kultur- und wissenschaftssozio- logischer Theorieansätze. Pierre Bourdieu und Michel Foucault waren es, die in ihren Studien nach der eigentlichen Produktion von Wissen und der Herstellung der »Ordnung der Dinge« fragten. Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie, die gesellschaftliche Phänomene als verflochtenes Zusammenspiel von beteiligten menschlichen »Akteuren« und nicht-menschlichen »Aktanten« (Objekten) erklärt, hob die Bedeutung von Praktiken und konkreten Gegenständen bei der Entstehung wissenschaftlicher Theo­ rien und Ergebnisse hervor. (Vgl. Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis; Foucault: Die Ordnung der Dinge; Latour, Woolgar: Laboratory Life sowie Latour: Science in Action).  2 Zusammenfassend zu diesen theoretischen Konzepten siehe Reckwitz: Der Ort des Materiellen sowie Reckwitz: Kulturtheorien. 3 Reckwitz: Kulturtheorien, S. 713.  4 Vgl. die grundlegende Studie von Rheinberger: Experimentalsysteme und epistemische Dinge.  5 Vgl. zum Konzept von agency das einführende Handbuch zur Akteur-Netz- werk-Theorie: von Belliger; Krieger: ANThology.  6 Sehr anschaulich erläutert und anhand von Beispiel- untersuchungenmittelalterlicher Objekte belegt werden solche Ansätze in: Keupp; Schmitz-Esser: Neue alte Sachlichkeit.  7  Fox; Panagiotopoulos, Tsouparopoulou: Affordanz, S. 63 –70, hier S. 66.  8 Eine Tasse

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