Leseprobe

23 jekts formuliert, aber dann durch objektorientierte Wissenschaften, vor allem die Archäologie, weiterentwickelt wurde: Gemeint sind damit die »durch die physischen Eigenschaften eines Gegenstandes vorgegebene[n] Nutzungsmöglichkeit[en]«, 7 somit ein Aufforderungscharakter in dem Objekt selbst. 8 Diese handlungsstrukturierenden Nutzungsmöglichkeiten müssen im Falle von Artefakten erstens nicht mit den Verwen- dungsabsichten der Produzenten von solchenObjekten identisch sein und können zwei- tens durch die Rezipienten an demObjekt nicht eindeutig abgelesenwerden, sondern sie variieren in sich ändernden kulturellen Kontexten. Derartige praxeologisch orientierte Konzepte werden neuerdings auch verstärkt in der Sammlungsforschung zu Grunde gelegt. In der aktuellen wissenschaftshistorischen undmuseologischen Forschung gelten Sammlungen nicht nur als »Gegenstände intellek- tueller und anschaulich-sinnlicher Aufmerksamkeit«, sondern vor allem als »Orte und Ausdruck epistemischer Strategien desWissens, von Formen, Praktiken und Dynamiken desmenschlichenWissens zu einer Zeit und in einer Kultur«. 9 Als »epistemischeObjekte« 10 stehen sie im Fokus einer interdisziplinär geführten Forschung zur Entstehung und Ver- breitung vonWissen. Praktiken wie Sammeln, Ordnen und Klassifizieren gelten als zen- trale Tätigkeiten des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses. Dabei gilt es aber gerade im Zusammenhang mit den Sammlungen zu bedenken, dass nicht jede Art von Samm- lungstätigkeit zum Nachvollzug, zum Überprüfen oder zum Generieren von Wissen dient. Eine perspektivische Engführung des Sammelns auf die wissenschaftliche Praxis wäre für das 18. Jahrhundert nicht richtig. Gerade in dieser Zeit wurde das Sammeln als sinnvolle Freizeitbeschäftigung für alle Menschen, nicht nur für Gelehrte, angesehen, weil es auch eine tugendfördernde, eine bildende, eine soziale, eine religiös-erbauliche oder eine warenkundlich-kaufmännische Funktion haben konnte. 11 Man muss das Sammeln also als das betrachten, was es war und immer noch ist: als Ausdruck eines mehrschich- tigen Wertesystems einer Gesellschaft. Praxeologische Ansätze in der Sammlungsfor- gibt durch ihre Form und Beschaffenheit ihre Funktion vor, nämlich daraus zu trinken. Sie bietet aber auch mehrere andere Nutzungsmöglichkeiten, sie kann zweckentfremdet werden und als Grabungs- werkzeug dienen oder als Podest für ein Objekt, wenn man sie umdreht usw. Die genaue Untersuchung dieser möglicher Angebote eines Objekts ermöglicht eine von der Funktionalität ausgehende Interpre- tation des jeweiligen Gegenstandes. Vgl. die einschlägige Studie von Gibson: The Senses, der den Begriff prägte und Hodder: Entangled, der das Konzept fruchtbringend nutzte und für seine Arbeiten zuspitzte. 9 Hassler; Meyer: Die Sammlung als Archiv paradigmatischer Fälle, S. 12.  10 ZumBegriff »epistemisches Objekt« vgl. Abel: Epistemische Objekte.  11 Vgl. Heesen: Weltkasten, worin sie das Sammeln als eine zentrale Tätigkeitsfigur des 18. Jahrhunderts beschreibt. Ein Beispiel eines »nicht-wissenschaftlichen Sammlers« ist JohannWilhelm Ludwig Gleim, der eine große Sammlung von Büchern und Kunstwerken als Liebhaber anlegte, ohne diese selbst wissenschaftlich auszuwerten. In seinem Testament widmete er seine Sammlungen der Nachwelt zur Nutzung und wollte eine »Schule der Humanität« imSinne einer Lehranstalt damit gründen. Vgl. Stört: Gleim und die gesellige Sammlungspraxis.

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