Leseprobe

37 Goethe selbst sorgte dank seines »Nachlassbewusstseins« 1 dafür, dass seine Sammlungen bewahrt wurden. Er bestimmte in seinem Testament, die »mannigfaltigen Theile« seiner Sammlungen, »die sich auf Literatur und Wissenschaft, auf Natur und Kunst beziehen«, sollten beisammen bleiben, »damit alles dieses, so lang als möglich, als Ein Körper ange- sehen« 2 würde und nach Möglichkeit Verwendung in einer »öffentlichen Anstalt« fände. 3 Die Sammlungsgegenstände sollten als Studienobjekte weiterhin der »Selbstbildung« der Menschen dienen, so wie er es lebenslang praktiziert hatte. 4 Goethe war mit diesem Gedanken nicht der erste und einzige Sammler um 1800, beispielsweise hatte schon der Dichter JohannWilhelmLudwig Gleim 1803 seine Sammlungen von Gemälden, Grafiken, Handschriften und Büchern einer »Schule der Humanität« gewidmet, um ihre Nutzung als Bildungsgegenstände zu sichern. 5 Während der alleinstehende Gleim eine Stiftung gründete und den Plan einer gemeinnützigen Akademie verfolgte, wollte Goethe durch den Verkauf an eine öffentliche Institution, die Sammlungen einerseits als Ensemble bewahren und andererseits seine Erben finanziell absichern – der damals übliche Weg. Goethe hatte nicht beabsichtigt, dass sein Haus amFrauenplan zumMuseumwürde. Seine Schwiegertochter und die Enkel sollten weiterhin dort wohnen bleiben. 6 Nur falls ein geschlossener Verkauf der Sammlungen nicht möglich wäre, sollten die Objekte zunächst zur Bildung der Enkelkinder im Wohnhaus verbleiben: »Würde sich günstige Gelegenheit, die fragl. Sammlungen an eine öffentliche Anstalt zu veräußern, nicht finden, so sollen sie bis zur Volljährigkeit meiner Enkel aufbewahrt werden, da ich sie nicht ein- zeln versteigert wünsche.« 7 Er hatte keine museal eingefrorene Sammlung im Sinn, son- dern einen lebendigen Umgang mit den Objekten. In der Skizze einer Schilderung Winckel- manns (1805) formulierte er seine Ansicht: »Traurig ist es, wenn man das Vorhandne als fertig und abgeschlossen ansehen muß. Rüstkammern, Galerien und Museen, zu denen nichts hinzugefügt wird, haben etwas Grab- und Gespensterartiges; man beschränkt sei- nen Sinn in einem so beschränkten Kunstkreis, man gewöhnt sich solche Sammlungen als ein Ganzes anzusehen, anstatt daßman durch immer neuen Zuwachs erinnert werden sollte, daß in der Kunst, wie imLeben, kein Abgeschlossenes beharre, sondern ein Unend- liches in Bewegung sei.« 8 1 Vgl. zu diesemBegriff und der historischen Entwicklung des Nachlassbewusstseins den Band von Sina; Spoerhase: Nachlassbewusstsein, hier insbesondere die Beiträge vonWerle und Holm, die sich mit dem Nachlassbewusstsein Goethes auseinandersetzen.  2 Goethes Testament, FA 1, 17, S. 491.  3 Ebd., S. 476. 4 Zu Goethes Bildungsbegriff- und -praxis vgl. aktuell Soetebeer: Goethes Begriff von Selbstbildung. 5 Zur Geschichte der Sammlung Gleims vgl. Stört: Gleim und die gesellige Sammlungspraxis, hier das Kapitel: Bildung für die Nachwelt, S. 191 –211.  6 Goethes Testament, FA 1, 17, S. 478.  7 Ebd., S. 476.  8  FA I, 19, S. 189: Skizze zu einer Schilderung Winckelmanns , Abschnitt »Glücksfälle«.  Großes Sammlungszimmer im Goethehaus mit Blick auf einen Sammlungsschrank.

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