Leseprobe
83 In der traditionellen Kunst- und Wunderkammer der Frühen Neuzeit war es möglich gewesen, alle Wunder der Natur und Kunst beispielhaft in einem einzigen Raum dar zustellen (Abb. 12). 1 Die Sammlungen sollten kurios sein und überraschen. Mit zahlrei- chen kleinen Fächern und Schubladenwar der reich verzierte Kabinettschrank das ideale Möbel für diese Art von Sammlungsraum. 2 In ihm fand ein Mikrokosmos an kostba- ren Objekten aus aller Welt seinen Platz, kleine Objekte verborgen in den Fächern, grö- ßere angeordnet auf demMöbel selbst. Andere Objekte wurden auf offenen Borden und Tischen gezeigt. ImZuge der Aufklärung wurde ein stärker systematisch ausgerichteter Anspruch an die Veranschaulichung von Wissen gestellt. 3 Zu den repräsentativen Sammlungen der Fürstenhäuser traten immer mehr rein wissenschaftlich ausgerichtete Sammlungen, ins- besondere in der imUmbruch befindlichen sogenannten naturgeschichtlichen Forschung. Die Gelehrten, die sie anlegten, wollten die Arten derWelt klassifizieren, die Objekte exakt miteinander in Beziehung setzen und beschreiben. Dafür waren viele verschiedene Bele- gexemplare einer Gattung notwendig. Aber auch in den Kunstsammlungen wollte man anhand vieler verschiedener Referenzobjekte die unterschiedlichen Schulen näher bestim- men und dokumentieren. 4 Abgesehen von ›professionellen‹ Sammlungen existierten zahlreiche Liebhabersammlungen auf allenWissensgebieten, die ebenfalls untergebracht werden mussten. Das 18. Jahrhundert wurde von den Zeitgenossen als »Cabinetseculum« bezeichnet, weil das Sammeln zu einer weit verbreiteten Mode wurde und es zu einem ausgedehnten Handel mit Sammlungsobjekten kam. 5 Mit der Bezeichnung »Cabinet« ist in diesemFall nicht nur wörtlich der entsprechende Sammlungsschrank gemeint, sondern die Sammlungen selbst, die in den historischen Quellen als Mineralienkabinett, Münzkabinett, Medaillenkabinett usw. benannt werden. »Unter dem Namen Sammlungskabinette sind Sammlungen von Bildern, naturhistori- schen Objekten, allgemein aller Art Sachen, die zu den seltenen und kostbaren Gegen- ständen gehören und zur Bewunderung, sowie zur lehrhaften Zurschaustellung und zum 1 Vgl. zur Veränderung der Sammlungspraxis von der Wunderkammer zur empirischen Sammlung, z. B. Grote: Macrocosmos inmicrocosmo; Becker: VomRaritätenkabinett zur Sammlung; Minges: Das Samm- lungswesen der frühen Neuzeit; Felfe: Frühneuzeitliche Sammlungspraxis, hier insbesondere die Einlei- tung, S. 8–28; Heesen: Sammeln als Wissen; Heesen; Gierl: Sammeln in der Frühen Neuzeit. 2 Vgl. Spenlé: Der Kabinettschrank. 3 Vgl. oben S. 23 ff. 4 Vgl. Kapitel »Sammeln im 18. Jahrhundert«, in: Stört: Gleim und die gesellige Sammlungspraxis, S. 23 –42. 5 So z. B.: Walch: Steinreich, S. 14. Vgl. hierzu auch Ruhland: Objekt, Parergon, Paratext, S. 74. Zur Mode des naturkundlichen Sammelns und demweltwei- ten Handel mit naturkundlichen Objekten vgl. Ruhland: Pietistische Konkurrenz, bes. S. 254 ff. Vgl. auch Heesen: Geschlossenen und transparente Ordnungen, S. 87. Blick durch die Raumflucht der Beletage des Goethehauses, imVordergrund zwei Sammlungsschränke mit Majolika.
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