Leseprobe

85 Forschungsbedarf gehören«, 6 schrieb André Jacob Roubo (1739 – 1791) in seinem Hand- buch zur Tischlerkunst. Ein paar Zeilen später äußerte er sich zu den Schränken in solchen Kabinetten: »Die Sammlungskabinette für Maschinen und naturgeschichtliche Objekte sind in etwa vergleichbar (nicht was den Gebrauch anbelangt, der vollkommen verschie- den ist), nur in der Gestaltung. Diese besteht aus großen, mit Türen verschlossenen Schränken.« 7 Das Wort »Cabinet« konnte im Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts auch einen bzw. mehrere Sammlungsräume meinen. In Bezug auf Mineralienkabinette erläu- tert die Krünitzsche Enzyklopädie: »Gewöhnlich nennt man eine dergleichen zusammen- gebrachte und in einer gewissen Ordnung aufgestellte Menge von Fossilien, der obigen Erklärung zu Folge, ein Mineralien=auch wohl ein Stuffen=Cabinett; vermuthlich von dem Orte, wohin man in den Zeiten, da man die Mineralien= und andere Sammlungen noch ganz klein einrichtete, solche Sammlungen stellte, nämlich von den an den größern Zimmern befindlichen kleinen Zimmern oder Cabinetten.« 8 Mit dem Zuwachs an Objekten änderte sich die Art und Weise, wie Sammlungs­ objekte bewahrt und präsentiert wurden. Der performative Charakter der Kunst- und Wunderkammer wurde in einem nicht linear verlaufenden Prozess in einen analytisch geprägtenModus der Darstellung überführt. Was einst dekorativ anWänden und Decken hing, in offenenWandborden oder in Prunkmöbelnmit Geheimfächern dem staunenden Besucher demonstriert wurde, wanderte sicher geschützt und feinsäuberlich geordnet in Depotschränke und Schubladen (Abb. 13). 9 Das überwiegend ästhetische Arrangement der Objekte wich zunehmend der pragmatischen Ablage. 10 Dies hatte konkrete Auswir- kungen auf die Gestaltung der Sammlungsmöbel: Der »Sammlungsschrank war nicht nur schützendes Behältnis fragiler Objekte, als materiale Grundlage eines Kabinetts war er zugleich auch Instrument der visuellen und haptischenAneignung der Natur«, 11 hält Anke te Heesen in ihrer grundlegenden Studie zu Sammlungsmöbeln in Naturalienkabinetten fest. DiesemAnspruch entsprechend prägte um 1800 statt des repräsentativen, reich ver- zierten und kostbaren Prunkschranks vielerorts der funktionale Sammlungsschrank das Bild der Sammlungsräume. Vor allem in naturkundlichen Kollektionen hatte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein neuer Typus des Sammlungsschranks entwickelt, der aus einem Magazinsockel mit Schubladen und einem Vitrinen-Oberteil bestand (Abb. 14). 12 Anders als die barocken Kabinettschränke wurde das Behältnis schlichter gestaltet. Aus- gestellt wurden nun ganze Ordnungssysteme. 13 6 Roubo: Die Kunst des Schreiners, 2. Teil, S. 212. Vgl. auch die Aufnahme dieser Passage in: Stöckel: Die Tischlerkunst, S. 183 und ähnlich Mercker: Der Tischler, S. 183 f.  7 Roubo: Die Kunst des Schreiners, 2. Teil, S. 212.  8 Krünitz: Encyklopädie, Bd. 91, S. 15.  9 Vgl. zur Performanz der Kunst- und Wunderkammer Beß- ler: Ordnung versus Theatralik; Beßler: Wunderkammern.  10 Vgl. dazu grundlegend Heesen: Geschlos- sene und transparente Ordnungen sowie Heesen: Vom Einräumen der Erkenntnis.  11 Heesen: Geschlos- sene und transparente Ordnungen, hier S. 86 f.  12 Vgl. ebd.  13 Vgl. zu dieser Entwicklung ebd. sowie Holm: Parerga des Wissens, S. 170 f. und unten Kapitel 3, Abschnitt »Mineralienschränke«.

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