Leseprobe
7 Zur Einführung Anfang Dezember 1830macht sich der hochbetagte JohannWolfgang von Goethe an eine wichtige Aufgabe. Gerade erst, im Oktober, war sein Sohn August auf einer Italienreise überraschend gestorben. Goethe, lebensgefährlich erkrankt nach dieser Nachricht, erholt sich nur schwer. Die Enkel sind noch Kinder. Er selbst ist einundachtzig Jahre alt, und viel Zeit bleibt ihm wohl nicht mehr. Wer soll sich um seine umfangreichen Sammlungen kümmern und sie vor der Zerstreuung in alle Himmelsrichtungen bewahren? Die Gegen- stände, die er jahrelang zusammengetragen hat, müssen der Nachwelt ordentlich über gebenwerden. Und so diktiert Goethe – kaumgenesen – seinemSchreiber genaue Anwei- sungen. Sorgfältig formuliert er, wie er sich die Verwaltung und das Fortleben seiner Sammlungen vorstellt. Er listet auf, wo – in welchen Schränken und Räumen seines Hau- ses – die Dinge zu finden sind. Dann übergibt er seinemengenMitarbeiter Friedrich Theo- dor David Kräuter die Schlüssel zu den Schränken samt einem Verzeichnis. Er lässt ihn den Erhalt auf demDokument quittieren und überträgt ihmdamit die Verantwortung als Kustos seiner Sammlungen. 1 Knapp 190 Jahre später stieß ich im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar in einer voluminösen Akte auf ein schmales blaues Heft zwischen verschiedenen Papieren aus Johann Wolfgang von Goethes Nachlass. Betitelt war es mit: Concept un[d] Duplum einer Verabredung mit Herrn Biblioth. Secrtr. Kräuter wegen meiner Kunst- und Wissenschaftlichen Ver 1 Die Formulierung der Anweisungen samt Übergabe der Schlüssel zog sich über drei Tage: Weimarer Ausgabe (WA) III, 12, S. 338: »Secretär Kräuter wegen der nächsten Verhältnisse.« (Goethe Tagebuch, 4. Dezember 1830); S. 339: »Die Angelegenheit wegen der an Kräuter abzugebenden Schlüssel weiter geführt.« (Goethe Tagebuch, 5. Dezember 1830); S. 339: »Secretär Kräuter, einiges Geschäftliche vor legend. Ich übergab ihm die Schlüssel mit einer Note.« (Goethe Tagebuch, 6. Dezember 1830). Goethe diktiert in seinem Arbeitszimmer dem Schreiber John, Ölgemälde von Johann Joseph Schmeller, 1834.
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