Leseprobe
9 Sammlungsschränke Goethes befindet sich noch in den Anfängen und wurde bislang nur punktuell betrieben. 9 Meine Perspektive auf den Möbelbestand als Ordnungs- und Präsentationsmittel der Sammlungen machte es nun erforderlich, gerade nach solchen übergreifenden Zusammenhängen undQuellen zu suchen. Goethes persönliche Schlüs- selliste für seine Schränke bildete dabei den Ausgangspunkt für die Fragestellungmeiner Untersuchung: Was können Sammlungsmöbel zumErkenntnisgewinn über historische Praktiken beitragen? Sammlungsobjekte erhalten erst durch die oft vernachlässigten materiellen Ge brauchsdinge, die sie umgeben und ordnen, ihre Aussage und Bedeutung. Denn der Blick auf die Objekte wird durch die sie rahmenden Dinge gelenkt – wie Schränke, Schubladen, Schachteln. Erst das Etikett bzw. der Katalog verraten uns Herkunft, Wert und Art eines Objekts. SolchemateriellenOrdnungshilfenmit ihren dazugehörigenmedialen Praktiken beeinflussen demzufolge stark die Handhabung und Wahrnehmung einer Sammlung. 10 Verzeichnissysteme wie Objektlisten und Kataloge stehen in der Erforschung der Samm- lungsgeschichte seit längerem im Fokus. 11 Die Möbel jedoch, die mit den Verzeichnis systemen in einer funktionalen Einheit stehen, gerieten bisher selten in das Blickfeld wis- senschaftshistorischer Forschung. 12 In dieser Studie werde ich daher zunächst den ›Schrank‹ in seiner Funktion als Behält- nis für Sammlungsobjekte analysieren und begründen, warum ein praxeologischer Zugang zu den Sammlungsmöbeln lohnenswert zu sein verspricht. Ich erläutere anschlie- ßend, wie wir – die Möbelrestauratorin der Klassik Stiftung Katharina Popov-Sellinat und ich – methodisch in unseren Untersuchungen der Einzelobjekte vorgegangen sind. Für objektzentrierte Fallstudien des Mobiliars bieten sich die Sammlungen Goethes in exponierter Weise an, weil sich nicht nur die Möbelstücke und Sammlungsobjekte selbst erhalten haben, sondern zudem eine große Menge an Dokumenten zur Samm- lungspraxis. UmGoethes konkrete Handlungsweisen imUmgang mit den Möbeln nach- zuvollziehen, ist es wichtig, seine objektorientierte Denkweise und Sammlungsinteressen zu kennen. Zudem muss berücksichtigt werden, dass Goethes kunst- und naturwissen- schaftliche Sammlungen ein Gemeinschaftswerk vieler Akteure sind, die jeweils unter- Klauss: Die Medaillensammlung. Für weitere Einzelstudien zu Goethe als Sammler vgl. die angegebene Forschungsliteratur in Kapitel 3. 9 Vgl. vor allem die verschiedenen Arbeiten von Christiane Holm: Goethes Gewohnheiten; Goethes Augenlust; Goethes gesellige Einrichtungen; Goethes Arbeitszimmer; Goethes Papiersachen; Raumordnungen des Nachlasses und von Johannes Grave: Der ideale Kunstkör- per sowie den von Sebastian Böhmer, Christiane Holm, Veronika Spinner und Thorsten Valk herausge- gebenen Katalog der Ausstellung Kultur des Sinnlichen . 10 Zuerst formuliert haben diese Überlegungen Johannes Grave sowie Christiane Holm, vgl. Grave: Aneignung und Befremden sowie Holm: Parerga des Wissens. Vgl. auch die theoretische Ausrichtung des dieser Studie zugrunde liegenden Projekts Parerga und Paratexte in: Knebel; Ortlieb; Püschel: Sammlung und Beiwerk, S. 7 ff., sowie Grave; Holm; Kobi; Eck: The Agency of Display, S. 7 ff. Vgl. außerdem Kapitel 1, wo diese Thesen weiter ausformuliert werden. 11 Vgl. z. B. Stockhausen: Formen des Ordnens. 12 Vgl. zum Forschungsstand Kapitel 1.
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