80 Die Favorite (Kon-)Text und Agency Als Pendant und komplementäres Gegenstück zum Karlsbader Glas soll hier noch auf ein Souvenir verwiesen werden, das Goethe von Marianne von Willemer geschenkt bekam. Es handelt sich dabei um einen Glaspokal mit Deckel, den die Freundin anlässlich des Geburtstags 1829 aus Baden-Baden schickte.1 Den Glaskörper schmücken vier Ovale mit geschliffenen Ansichten der Stadt und deren Umgebung (Eingang der alten Burg, Schloss und Trinklaube, Ansicht bei Lichtenthal, Lustschloss Favorite),2 womit er sich als typisches Andenken aus einer florierenden Kurstadt ausweist. Mit gut 20 Zentimetern ist der Pokal etwa doppelt so hoch wie das Karlsbader Glas, anders als dieses ist er zudem nicht für Wasser, sondern für Wein gedacht. Seine repräsentative Größe, die fein gearbeiteten Abbildungen sowie der gläserne Deckel zeichnen ihn als einen Gegenstand für besondere Anlässe aus, der als Schmuckobjekt auch in einem Vitrinenschrank hätte aufbewahrt werden können (Abb. 6).3 Willemer individualisierte den Pokal, indem sie in den achtfach facettierten Fuß ihren Vornamen in Versalien schneiden ließ. Dreht man das Glas im Uhrzeigersinn, setzt sich Facette für Facette der Name MARIANNE zusammen (Abb. 7). Darüber hinaus ist unter dem Oval mit der Abbildung des Schlosses Favorite die Jahreszahl 1829 eingeschnitten, eine Schrift-Bild-Kombination, die Marianne von Willemer beachtet wissen mochte. In einem Geburtstagbrief vom 26. August 1829 kündigt sie das separat versandte Geschenk an: Diesen Zeilen folgt ein Kästchen, das sich vielleicht um einen oder zwei Tage verspäten könnte; lassen Sie es darum nicht minder willkommen sein, und denken meiner bei dem Bildchen, worunter die Jahreszahl graviert ist. Ganz in der Nähe des Schlosses sitze ich in einem sonnenhellen Stübchen und schreibe, Ihrer herzlich gedenkend.4 1 KSW, Museen, Inv.-Nr. KKg/00663. 2 Vgl. die geschliffenen Ansichten mit den entsprechenden Ortsangaben auf dem Glas: Einzelobjektreport, KSW, Museen, Inv.-Nr. KKg/00663 sowie: Goethe 1995, Nr. 184, S. 452. 3 Dieses Glas wurde in den Acta den von Goetheschen Nachlass betreffend durch die Mitarbeiter Goethes zwar im Arbeitszimmer aufgenommen, jedoch nicht mit seinem genauen Standort verzeichnet. Vgl. KSW, GSA, Sign. 38/N1, unpag. [fol. 24v]. 4 Marianne von Willemer an Goethe, 26. 8. 1829, in: Goethe 1995, Nr. 182, S. 217.
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