Leseprobe

84 ken an Freunde des Verewigten abgegeben.«14 Es folgt eine Liste mit 59 Einträgen, die sämtlich Objekte aus Goethes Privaträumen betreffen und offenbar als verzichtbare Stücke galten, mit denen Ottilie von Goethe immerhin noch »Freunde des Verewigten« bedenken durfte. Der Glaspokal wurde auf diese Weise zu einer Goethe-Devotionalie und verlor auf eine radikalere Weise seine Eigenschaft als Andenken als das Karlsbader Glas, dessen Kontext zumindest erhalten blieb. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Nachlassverwalter dieses Andenken einer sehr nahen Freundin Goethes ausgesondert hätten, wenn ihnen die eingeschnittenen Zeichen aufgefallen wären. Unter den 59 Gegenständen findet sich nur einer, der explizit einer Person zugeordnet wird und damit seine persönliche Provenienzgeschichte ›zur Sprache bringt‹: »Ein blaues Geldbörschen mit silbernem Verschluß, Geschenk von Carlyle 1827«.15 Auch dieses Souvenir gehörte ursprünglich zu einem kleinen Objektverbund, bestehend aus einer Silhouette von Jane Carlyle und einer Haarlocke, die beide bereits am 31. März 1832 inventarisiert worden waren. Interessanterweise wurden die Haarlocke und die Silhouette nicht als potenzielle Geschenke segregiert. Dies mag vielleicht daran liegen, dass sie derart personenbezogen und, wie es häufig solchen intimen Souvenirs eigen ist, weder kunsthandwerklich noch ästhetisch von Wert waren. Anscheinend ließ sich die Haarlocke einer schottischen Verehrerin, die ehemals in Goethes Besitz war, nicht gut in den Handel mit Goethe-Devotionalien einspeisen – eine feine Häkelarbeit aus Seide und Perlen mit silbernem Verschluss, den der Name »J. W. v. Goethe« ziert, hingegen schon. Während die Herkunft der Geldbörse schriftlich festgehalten wurde, um sie dann als verzichtbares Gut Ottilie zuzusprechen, wurde der Pokal anscheinend ›unerkannt‹ weitergegeben. Infolgedessen scheint Mariannes Andenken tatsächlich verschenkt oder auf andere Weise aus dem Nachlass entfernt worden zu sein, denn es wurde erst 1913 wieder für das Goethe-Nationalmuseum angekauft.16 So einprägsam die Versalien von Mariannes Namen den Fuß des Glaspokals auch zieren, waren sie wohl doch zu unauffällig, um die Aufmerksamkeit der Sekretäre zu erregen. Schließlich unterscheiden sich die Gläser in ihrer Eigenschaft als Erinnerungsstücke auch auf einer qualitativen Ebene. Goethe erhielt das Karlsbader Trinkglas aus Anlass seines Geburtstags, den er gemeinsam mit den Geberinnen verbrachte. Er konnte also ein selbst erlebtes, zwischenmenschliches Ereignis an das Glas knüpfen und ihm eigene Erinnerungen implementieren. Der Pokal von Marianne hingegen ist zwar auch ein Geburtstagsgeschenk, jedoch musste sie Goethe die daran gebundenen Zusammenhänge mitteilen. So sind es zunächst die eigenen Erfahrungen der Geberin in Baden-­ 14 KSW, GSA, Sign. 38/N1, fol. 22v. 15 KSW, GSA, Sign. 38/N1, fol. 22v. In den silbernen Bügelverschluss ist eine Widmung graviert: »To J. W. v. Goethe From Jane W. Carlyle Edinburgh 1827«. Einzelobjektreport, KSW, Museen, Inv.-Nr. GKg/00548. Jane Carlyle war die Ehefrau des Historikers, Schriftstellers und Übersetzers Thomas Carlyle, der unter anderem Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre übersetzte sowie eine Biografie Friedrich Schillers schrieb, für die Goethe wiederum ein Vorwort verfasste. Goethe und das Ehepaar Carlyle standen in brieflichem Austausch, der auch den Wechsel – zumindest vonseiten Jane Carlyles – solch klassischer Andenken wie Haarlocke, Silhouette und Brieftasche umfasste. Vgl. zu

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1