Leseprobe

150 Die Schreibzeug-Rolle Wahrscheinlich ist, dass Wolfgang Maximilian etwa für die Beschriftung der Untertasse und des Schreibzeugs aus Eisenblech den Schreibvorgang einübte, indem er zunächst auf Papier den zu beschreibenden Raum ausmaß und probehalber mit Zeilen füllte sowie unterschiedliche Schreibmaterialien testete. Die Zeilen stehen zu gleichmäßig auf den räumlich und materiell anspruchsvollen Schreibflächen, als dass sie in einer impulsiven Schreibgeste entstanden sein könnten. Demzufolge kann in diesen Fällen nicht von einem spontanen Schreibakt die Rede sein, vielmehr ging Goethes Enkel planvoll und mit Blick auf ein ästhetisch befriedigendes Ergebnis vor. Dies lässt sich auch an zwei Schreibzeugen beobachten, die Wolfgang Maximilian als Geschenke der Großherzogin Luise deklarierte und die im Folgenden näher untersucht werden. Hierfür wird zunächst ein beschriftetes gerolltes Reiseschreibzeug in den Blick genommen, das ein mutmaßliches Ensemble mit einer Dokumentenmappe bildet. Provenienz und Datierung dieser beiden Objekte werden zudem ausführlicher diskutiert, um auch die Schwächen mancher Überlieferungsketten aufzuzeigen. Anschließend wird dann ein weiteres Reiseschreibzeug, dessen Beschriftung mit jener der Schreibzeug-Rolle korrespondiert, dazu ins Verhältnis gesetzt. Lesen und Schreiben In der derzeitigen Ausstellung Lebensfluten – Tatensturm des Goethe-Nationalmuseums ist im Themenbereich »Welt« ein Reiseschreibzeug aus dunkelgrünem Maroquinleder ausgestellt.1 Es lässt sich zu einer handlichen Rolle verschnüren und birgt für die Schreibutensilien einen »walzenförmigen Holzkasten«, der außen mit farblich kontrastierendem rosafarbenem und innen mit hellgrünem Papier ausgekleidet ist.2 Beim Öffnen des Schreibzeugs offenbart sich dem:der Nutzer:in ein apartes Farbenspiel, indem der dunkelgrün schimmernde Ledereinband mit dem rosafarbenen, seidig glänzenden Papier der Innenausstattung korrespondiert und in dem hellgrünen Bezug im Inneren des Federkästchens wieder aufgenommen wird.3 Die lederne Hülle bildet zugleich ein Fach für Schreibpapier, das praktisch mitaufgerollt und dabei verstaut wurde. Flankiert von einer Streusandbüchse und einem Tintenfass, nimmt das Federkästchen drei Viertel der Rollenbreite ein und trägt auf seinem papiernen Deckel in geschwungener Schrift den Hinweis: »Von der Großherzogin Luise von Sachsen-Weimar / zum Weihnachten erhal-

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