153 stärker intendierten Zeigegestus. Sooft das Schreibzeug nach Wolfgang Maximilians schriftlicher Zurichtung geöffnet wurde, kam der:die Benutzer:in nicht umhin, die Zeilen zu lesen und stets von Neuem daran erinnert zu werden, um welch bedeutungsvollen Gegenstand es sich dabei handelte. Er:sie konnte den beschrifteten Deckel sogar abheben und zum Lesen bequem vor Augen halten. Jedoch offenbaren sich die Schriftzüge nicht unmittelbar, vielmehr folgen sie einem sublimen Spiel des Zeigens und Verbergens, muss doch das Reiseschreibzeug erst aufgebunden und entrollt werden, um die Nachricht entdecken zu können. Gesetzt den Fall, dass Wolfgang Maximilian das Schreibset auch nach der Beschriftung noch als solches nutzte, um damit auf Reisen Briefe, Billets, Notizen oder Arbeitspapiere zu verfassen, gemahnte ihn sein Hinweis an die denkwürdige Geschichte der genutzten Utensilien: Er hielt etwas in Händen, das (mutmaßlich) bereits die Großherzogin Luise berührt und in freundschaftlicher Geste einem der bekanntesten Schriftsteller seiner Zeit – seinem Großvater – geschenkt hatte. Im Bewusstsein dieses materiellen und ideellen Erbes hielt der Enkel es wiederum schriftlich fest. Indem er die Feder aus dem Schreibzeug wieder aufnahm, setzte Wolfgang Maximilian dort an, wo Johann Wolfgang von Goethe aufgehört hatte, und schrieb die Genealogie des Geschenks fort. Es ist jedoch ebenso möglich, dass das Schreibzeug mit der Auszeichnung durch Wolfgang Maximilian dem Gebrauch entzogen wurde, dass sein verschrifteter Herkunftsnachweis den praktischen Gegenstand zu einem nunmehr denkwürdigen Artefakt mit musealem Status wandelte. Auch aus dieser Perspektive ist die Platzierung der Aufschrift im Etui folgerichtig: Der ehrwürdige Name der Großherzogin Luise von Sachsen-Weimar wurde für jede:n sichtbar mit dem Gegenstand verbunden, ihm eingeschrieben und somit Teil des Ganzen. Ebenso wie der Name Wolfgang Maximilians, der sich mit seiner Unterschrift ans andere Ende dieser Reihe aus bedeutenden Persönlichkeiten setzte. Johann Wolfgang von Goethe, der Beschenkte, musste nicht mehr namentlich genannt werden, er war als (ehemaliger) Nutzer des Schreibzeugs ohnehin präsent. Wurde das Reiseschreibzeug Interessierten gezeigt – im privaten Rahmen oder während einer halböffentlichen Begehung des Wohnhauses –, offenbarte sich beim Entrollen sozusagen das Gütesiegel von Wolfgang Maximilian von Goethes Hand. Nicht verborgen im Innenfutter der Ledertasche oder als diskretes Autograf auf einem losen Zettel, sondern auf dem Deckel des Federkastens – als Ergebnis eines selbstbewussten Aktes. Herrschaftswissen Hingewiesen sei auch auf die selbstreflexiven Aspekte der Schreibhandlung, die den Subtext dieses Objekts bilden. Wolfgang Maximilian beschriftete ein (Reise-)Schreibzeug und machte einen Gegenstand selbst zum Träger dessen, wofür eben dieses Utensil gedacht war, nämlich Schrifterzeugnisse zu ermöglichen. Diese blieben allerdings kein Teil des Reiseschreibzeugs, denn Briefe wurden verschickt, Billets übergeben und
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