Leseprobe

154 Manuskripte archiviert. Die Aufschrift ist materiell fest verbunden mit dem Werkzeug seiner Erzeugung und zugleich Teil dieses auf Mobilität ausgerichteten Schreibzeugs – damit ist der stete Hinweis auf die festgeschriebene, bedeutungsschwere Herkunft unweigerlich in Bewegung. Der Enkel bezeugte nicht nur die in zweifacher Hinsicht honorable Herkunft des praktischen Utensils, er beanspruchte auch seinen Platz unter den erinnerungswürdigen Namen. Denn Wolfgang Maximilians Unterschrift verleiht der Aussage qua familiärer Abstammung Autorität und verbindet den Schreiber zugleich mit der genannten Großherzogin Luise sowie implizit mit dem ehemaligen Besitzer des beschrifteten Objekts, Johann Wolfgang von Goethe. Zudem gab der Enkel zu erkennen, dass er über wertvolles Wissen verfügte, das ohne sein schriftliches Eingreifen verloren zu gehen drohte. Dies kann auch als mehr oder weniger diskretes Statussymbol gelesen werden, mit dem der Enkel sich zwischen den Nachlassverwaltern, Vormündern, Mitgliedern des Herrscherhauses und der in die Erbangelegenheiten involvierten Halböffentlichkeit behaupten wollte. Wie fragil diese Art der Wissensüberlieferung dennoch war (und ist), lässt sich an der komplexen Provenienzgeschichte des Reiseschreibzeugs beziehungsweise deren Dokumentation im Datenblatt des Objekts beobachten. Anders als es Wolfgang Maximilians Aufschrift nahelegt, geht aus den Informationen des Objektreports nämlich keineswegs eindeutig hervor, wem das Schreibzeug zu welchem Zeitpunkt tatsächlich gehörte. Vielmehr wurden Daten zusammengetragen, die mehrere Deutungen zulassen. Im Folgenden sollen diese disparaten Angaben genauer betrachtet werden, um dadurch die Schwierigkeit der Kontextualisierung des Autografs aufzuzeigen. Dabei geht es nicht darum, einzelne Objekte eindeutig einem wie auch immer definierten originären Goethe-Bestand zuzuordnen oder abzuerkennen. Für ein solches Vorhaben müsste zunächst grundsätzlich darüber nachgedacht werden, wie ein derart umfangreicher Haushalt wie der goethesche nach Besitzverhältnissen segregiert werden könnte und nach welchen Kriterien ein Objekt Anspruch auf eine – ebenfalls zu definierende – Authentizität hat.8 Anhand der beispielhaften, detaillierten Auseinandersetzung mit den diffusen Überlieferungen der folgenden drei Gegenstände soll auch deutlich werden, wie Objektbiografien ge- und überschrieben werden; einige der Spuren, die sie tragen oder hinterlassen, treten sichtbar hervor (Schrift), manche werden verwischt (die Auffindesituation), während andere wiederum auf falsche Fährten führen können (zum Beispiel manipulierte Objektgruppen oder materielle Parallelen). Überlieferung Da ist zunächst die laut Datenblatt (vermutete) Datierung des Reiseschreibzeugs auf etwa 1825, die allerdings nur indirekt über einen anderen Gegenstand hergeleitet wird, und zwar eine »Dokumentenmappe, grün, mit silbernem Verschluß, kleiner Schlüssel, mit schmalen Lederriemen und Schnallen, innen drei Fächer mit rosa Leinen bezogen,

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