Leseprobe

171 der Dinge herausgegriffen zu werden. Ihre Provenienz und potenzielle zukünftige Biografie ließen sie den menschlichen Akteur:innen aus unterschiedlichen Gründen als Träger eben dieser je spezifischen Texte zwingend erscheinen. Neben vielen anderen möglichen Gegenständen waren nur sie es, die ihre Umwelt derart affizierten, dass sie über den gewöhnlichen Gebrauch hinaus (auch noch) Teil eines Schreibakts wurden. Die Hindernisse, die bei der Beschriftung beziehungsweise dem Bedrucken überwunden werden mussten, hat die Untersuchung aufgezeigt. Es handelt sich nicht um flüchtige Notizen auf auswechselbarem Schreibgrund. Der Text musste wohlbedacht und für den Raum, der zur Verfügung stand, abgemessen sein, Schreibfehler hätten kaum oder gar nicht ausgebessert werden können, Form und Oberfläche der Gegenstände forderten besondere Sorgfalt sowie spezifische Schreibtechniken oder Druckverfahren. Entsprechend der Varietät der Objekte war der Schreibakt ein je individueller, ein diffiziler Vorgang, der die bewusste Auseinandersetzung mit dem Schreibmaterial voraussetzte. Dabei schrieben die Objekte an ›ihrem‹ Text mit, reflektiert der jeweilige Inhalt doch stets seinen Träger, während dieser auf den Text rekurriert. Insbesondere bei der Beschriftung des Handschuhs und der Schreibzeuge, aber auch – wenngleich weniger ausgeprägt – bei der Veranlassung der Glasinschriften und des Seidendrucks spielten zudem performative Aspekte eine entscheidende Rolle. Es hat sich gezeigt, dass die Geste des Beschriftens auch ein Akt der Aneignung war. Die Objekte zu ergreifen, sie in Händen zu halten und sich ihnen einzuschreiben, implizierte eine Inbesitznahme, die mit der körperlichen Spur der Handschrift auf Dauer gestellt wurde. Dieser Vorgang ließ sich auch an den beiden geschliffenen Gläsern beobachten, mit dem Unterschied jedoch, dass die Damen Levetzow und Marianne von Willemer bei der Inskription professionelle Hilfe in Anspruch nehmen mussten und die solcherart personalisierten Objekte anschließend einer ausgewählten Person übereigneten – wiederum ein performativer Akt mit vielfältigen Implikationen und Effekten. Denn das performative Moment war mit dem Beschreiben nicht erschöpft. Bei der Analyse des bedruckten Seidenbands, der Glasinschriften, des diskret beschrifteten Handschuhs und der exponierten Aufschriften der Schreibzeuge ist deutlich geworden, dass die ihnen eigene Schriftlichkeit nicht einfach zu einer materialimmanenten Eigenschaft geworden war beziehungsweise ist. Vielmehr korrespondierten Material und Graphe auf einer materiellen und semantischen Ebene derart miteinander, dass sowohl außertextuelle als auch textimmanente performative Strukturen entstanden. Den beschriebenen Objekten eignete dadurch eine Agency, die sie von den nicht schriftlich zugerichteten Sammlungsstücken unterschied, sie hatten und haben besondere Möglichkeiten, ihre Umwelt zu prägen, menschliche Akteur:innen zu affizieren und Handlungen zu veranlassen. So war das goldgelbe Seidenband mit seinem subtil ironischen Verweisspiel zwischen Text und Stoff ein handlungsstiftendes Accessoire im Kosmos west-östlicher Dichtung, die von Willemer und Goethe stets auch materiell reflektiert wurde. Ebenso evozierte das Karlsbader Glas seine Handhabung sowohl über Form und Material als auch durch den eingeschriebenen Appell der Rückbesinnung. Als

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