9 welt und wie gelangen sie zu dieser Handlungsmacht, die auch eine Sprachmächtigkeit ist? Während Günter Oesterle in Bezug auf Souvenirs der Frage nachgeht, was in den Dingen steckt,7 lautet hier die Fragestellung: Wie wird es implementiert und vor allem wieder geäußert? Dabei ist nicht jedes Objekt gleichermaßen »talkative«: So kann ein seriell hergestelltes Massenprodukt während seiner Lebensdauer zu einem individuellen Objekt mit einer ganz eigenen Geschichte werden, gleichzeitig läuft ein einzigartiger Gegenstand möglicherweise Gefahr, seine Sprachfähigkeit im Verlauf der Zeit zumindest partiell zu verlieren. Je nach Form, Material und Funktion, Einbindung in (kulturelle) Praktiken oder Nichtgebrauch, exklusiver Zurichtung oder spurloser Serialität sind Objekte abhängig vom Kontext mal mehr mal weniger sprachfähige Akteure. Als wesentlich für die Sprachmacht der untersuchten Objekte wird das Zusammenspiel von drei Faktoren identifiziert: Schriftlichkeit, Materialität und Performativität. Der Aufdruck des Seidenbands, sein Material sowie seine performativen Eigenschaften sind wechselseitig voneinander abhängig, sie bedingen einander auf vielfältige Weise und entfalten dadurch eine Sprache, die weit über den semantischen Gehalt der Textzeile hinausgeht. An den vorgestellten Objekten wird deutlich werden, wie Schrift und Schriftträger miteinander – manchmal auch gegeneinander – arbeiten und sich gegenseitig zu dominieren versuchen, wobei die gesprächigsten Objekte jene sind, in denen das Verhältnis ausgeglichen ist. Im Zentrum der Arbeit stehen Objekte, die im Rahmen des vom BMBF geförderten Forschungsprojekts »Parerga und Paratexte – Wie Dinge zur Sprache kommen. Praktiken und Präsentationsformen in Goethes Sammlungen« untersucht wurden. Ausgehend von Johann Wolfgang von Goethes Idee, im »Gespräche mit den Dingen«8 Erkenntnisse zu gewinnen, fokussierte das für die vorliegende Untersuchung relevante Teilprojekt die schriftlich zugerichteten Varia in den Goethe-Beständen. Dabei bedeutet der Ausdruck »schriftlich zugerichtet«, dass diese Gegenstände in unterschiedlicher Weise beschriftet oder anderweitig mit Schrift verbunden sind. Unter »Varia« – ein Hilfsbegriff, den schon die Sekretäre Goethes bei der Inventarisierung gebrauchten – versteht man überwiegend solche Objekte, die zwar Teil des umfangreichen Nachlasses von Goethe und seiner Familie sind, jedoch keiner der zentralen Sammlungen – der grafischen, plastischen, naturwissenschaftlichen und geologischen – zugeordnet werden. Vielmehr sind es Dinge, die sich im Haus am Frauenplan in Weimar eher angesammelt haben, wobei »Die Sprache der Objekte« durchgeführten Verbundprojekts »Parerga und Paratexte – Wie Dinge zur Sprache kommen. Praktiken und Präsentationsformen in Goethes Sammlungen« (Laufzeit 4/2015– 3/2018). Beteiligt waren mit je einem Forschungsschwerpunkt die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die Universität Bielefeld, die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie die Klassik Stiftung Weimar, deren Bestände die Grundlage aller Untersuchungen bilden. 6 Da die Analyse sich in einem musealen Kontext bewegt, wird im Folgenden vorzugsweise von Objekten, Sammlungsstücken und Gegenständen gesprochen. Die Begriffsbestimmung sowie die verwendeten Termini und Methoden werden in Kapitel II dieser Arbeit diskutiert. 7 Oesterle 2006, S. 18 f. 8 FA II, 3, S. 67.
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