Leseprobe

13 Im Jahr 1898 sorgte das deutsche Passagierschiff Kaiser Wilhelm der Große für eine Sensation, als es in nur fünf Tagen und zwanzig Stunden den Atlantik überquerte, und damit die britische Dominanz in Frage stellte, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf der Transatlantikroute bestanden hatte (Abb. 1). Die in Bremen gebaute Kaiser Wilhelm der Große war das erste deutsche Schiff, welches das prestigeträchtige Blaue Band gewinnen konnte, den inoffiziellen Preis für das schnellste Linienschiff, das zwischen Europa und Nordamerika verkehrte. Sie war nicht nur der größte und luxuriöseste Passagierdamp­ fer, der diese Auszeichnung je erhalten hatte, sondern auch das Produkt einer aufstrebenden Industrienation und wurde dadurch zu einem Symbol für die Entwicklung des kaiserli­ chen Deutschland zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt. In den Jahrzehnten der raschen Industrialisierung waren in Deutschland zwei Reedereien entstanden, die schon bald zu den international erfolgreichsten Schifffahrtsgesell­ schaften gehörten: die Hamburg-Amerikanische Packet­ fahrt-Actien-Gesellschaft, besser bekannt als HAPAG (1847), und der Norddeutsche Lloyd, kurz NDL (1856). Ende des 19. Jahrhunderts begann ein intensiver internatio­ naler Wettstreit zwischen den großen Reedereien, der zu­ nächst zwischen Großbritannien und Deutschland ausgetra­ gen wurde und sich dann auf Frankreich, Italien und die USA ausweitete. Die Rivalität spiegelte sich auch in der Gestal­ tung der Inneneinrichtung der Passagierdampfer wieder. Die Schifffahrtsgesellschaften versuchten, sich gegenseitig zu übertreffen, indem sie immer luxuriösere Räume an Bord an­ boten. Es stand mehr auf dem Spiel als nur ein Titel, denn die großen Luxusliner waren Sinnbilder des Nationalstolzes und wurden als Repräsentanten des jeweiligen Landes wahrge­ nommen. Das galt besonders für die Kaiser Wilhelm der Große und die kurz nach ihr gebauten Schiffe, die ebenfalls nach den Mitgliedern der kaiserlichen Familie benannt wurden. Allein durch ihre Größe eigneten sich die Ozeandampfer hervor­ ragend als Aushängeschilder für den neuen deutschen Staat. Bis zumBeginn des ZweitenWeltkriegs spielten die deutschen Passagierschiffe eine wichtige Rolle im internationalenWett­ kampf der Unternehmen und Nationen. Während die HAPAG und der NDL Anfang des 20. Jahrhunderts stilistisch noch den Historismus förderten, gehörten sie später zu den ersten Reedereien, die moderne Innenarchitekten damit beauftrag­ ten, sich an der Ausstattung der Schiffe zu beteiligen. RIVALITÄT AUF HOHER SEE: DER INTERNATIONALE EINFLUSS DEUTSCHER PASSAGIERSCHIFFE Anna Ferrari KaiserWilhelmder Große (1897) Aufnahme um 1900 1

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