Leseprobe
25 Karl Schmidt war von seiner Herkunft wie auch von seiner Ausbildung her ein einfacher Handwerker – aber gleichzei tig ein Mann mit außerordentlicher Neugier, Interesse und großer Offenheit für die sich im Umbruch befindende Dis kussion um das Kunstgewerbe gegen Ende des 19. Jahrhun derts (Abb. 1). Seine Wanderjahre nach Abschluss der Tisch lerlehre zeugen von dem Drang, sich weit über Sachsen hin aus weiterzubilden. Die Gründung der Dresdner Werkstät ten für Handwerkskunst (1898, ab 1907 Deutsche Werk stätten für Handwerkskunst) war in ihrem programmatischen Ansatz von der Arts-and-Craft-Bewegung in England beein flusst. Die Idee, mit den besten Künstlern und Künstlerinnen des Landes zusammenzuarbeiten, aber gleichzeitig bezahl bare Möbel herzustellen, war visionär. Im Gegensatz zur bisherigen Praxis, den Künstlern und Künstlerinnen – oder in diesem Fall wohl besser Gestaltern und Gestalterinnen und Architekten (Architektinnen gab es zur Zeit der Unternehmensgründung noch nicht) – die Ent würfe abzukaufen, brach Schmidt bereits 1899 mit gängigen Konventionen der Produktherstellung. Er forderte aktiv Künstlerinnen sowie Künstler auf, Entwürfe für Möbel und DIE DEUTSCHEN WERKSTÄTTEN ODER DER VISIONÄR AUS SACHSEN, KARL SCHMIDT Tulga Beyerle Kleinkunst einzureichen, und bot allen eine Gewinnbeteili gung am Verkauf von fünf bis zehn Prozent. Er bewies damit ein erstaunliches Gefühl für die Zeichen der Zeit, für den sich eben durchsetzenden Reformwillen, Gestaltung neu zu den ken, sich von dem historisierenden »Stilwirrwarr« zu lösen, neue Formen zu suchen und in bester Qualität umzusetzen. Seine Einladung, aber auch sein bereits damals gut aktivier tes Netzwerk führten von Anfang an zu einer Vielzahl außer gewöhnlicher Entwürfe der besten Gestalter und Gestalte rinnen seiner Zeit (Abb. 2). In diesem Sinne betrat Karl Schmidt in Deutschland Neuland und konnte schon früh auf internationale Erfolge und Anerkennungen verweisen. Nicht zu Unrecht stellte Günther von Pechmann, der erste Leiter der Neuen Sammlung in München, fest: »die ›Deutschen Werkstätten‹ [. . .] sind einer jener Betriebe, die man stets nennen wird, wenn von jener Zeit des gewaltigen Um schwungs im deutschen Kunstgewerbe die Rede ist [. . .].« 1 Es ist daher auch kein Zufall, dass Karl Schmidt bei der Grün dung des Deutschen Werkbundes (1907) eine maßgebliche Rolle spielte.
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