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14 wurde. Kirchenhistorisch hingegen ist beachtlich, dass er damals ein Benediktinerkloster gründete. Als das Kloster Chemnitz ge gründet wurde, war das Bistum Meißen bereits mehr als andert halb Jahrhunderte alt. 29 Aber die Diözese hatte sich in diesem Zeitraum noch kaum entwickelt. Klare Diözesangrenzen gab es nicht, weil der Großteil des späteren Bistumsgebiets noch gar nicht aufgesiedelt war. 30 Das Bistum umfasste ursprünglich den Kernbereich der Mark Meißen und die Oberlausitz, und erst im 12. Jahrhundert kam noch die Niederlausitz dazu. Um 1100 glich das BistumMeißen einer langgestreckten schlauchartigen Sied lungsinsel, die sich von Wurzen über Mügeln bis zur mittleren Elbe erstreckte und dort in einem breiteren besiedelten Streifen von Riesa bis Pirna reichte. Eine weitere große Offenlandschaft bestand in der Oberlausitz um Bautzen. 31 In diesen Landschaf ten lebten ganz überwiegend sorbischsprachige Slawen, kaum deutsche Siedler. Städte im rechtlichen Sinne gab es um 1100 noch gar nicht. Meißen war wenig mehr als ein großer befestigter Burgsitz des Markgrafen, in dessen Schatten die bescheidene Domkirche des 968 gegründeten Bistums lag. Die Anfänge des Domkapitels sind schwer zu fassen, doch können wir davon ausgehen, dass sich im Laufe des 11. Jahrhunderts dort ein Gremium von Geist lichen herausgebildet hatte, das dem Bischof zur Seite stand. 32 Um die Mitte des 11. Jahrhunderts war dies der Fall. 1063 wird dieses als monasterium bezeichnet. Aber dieses Domkapitel blieb noch lange das einzige geistliche Gremium in der Diözese Meißen. Erst 1114 entstand das Kollegiatstift Wurzen, das von Bischof Herwig – wie es in der Gründungsurkunde heißt – als erste geistliche Gemeinschaft außerhalb der Bischofsstadt ge gründet wurde, 33 weniger später ein Benediktinerinnenkonvent in Riesa an der Elbe (als Naumburger Eigenkloster), 34 dann das Benediktinerkloster Chemnitz. Am Anfang der Wurzener Gründungsurkunde von 1114 heißt es: Als Bischof habe er erwogen, dass er mit Ausnahme des Bischofssitzes Meißen an keinem anderen Ort eine geistliche Gemeinschaft zur Unterstützung habe (»Ego itaque Herwicus, Dei gratia Misnensis episcopus, considerans, quod nullum alium nisi in sede nostra Misnensi fraternitatis locum aut congrega tionis subsidium habuimus«). 35 Das Domkapitel in Meißen war also noch anderthalb Jahrhunderte nach der Gründung des Bis tums die einzige geistliche Gemeinschaft. Nun kam das Kolle giatstift in Wurzen hinzu, das in einem alten Besitzzentrum der Bischöfe von Meißen eingerichtet wurde. Das Stift in Wurzen, als Kollegiatstift eine Gemeinschaft von Weltgeistlichen wie das 100 Jahre später gegründete Petristift in Bautzen, 36 blieb bis zum Ende des Bistums Meißen in der Reformationszeit eng mit den Bischöfen und dem Domkapitel in Meißen verbunden. Ganz anders das königliche Benediktinerkloster Chemnitz, das zwar im Sprengel des Bischofs von Meißen lag, aber unter den Schutz des Stuhls Petri gestellt wurde und dem Königtum unterstand. Das sollte sich erst im späten Mittelalter ändern. Die Gründung des Klosters Chemnitz hat seit langem das Interesse der Forschung gefunden, weil ihr – ähnlich wie in Pegau – die Gründung einer königlichen Stadt folgte, doch will ich auf diese seit Walter Schlesingers Buch über die Anfänge der Stadt Chem nitz immer wieder erörterten Fragen hier nicht weiter eingehen. 37 Vielmehr ist zweierlei bezüglich der Gründung des Klosters in den 1130er Jahren hervorzuheben: die zu diesem Zeitpunkt geografisch exponierte Lage des Klosters und die Verpflichtung der dort lebenden geistlichen Gemeinschaft auf die Benedik tinerregel, von der sich eine Abschrift im Kapiteloffiziumsbuch des Klosters erhalten hat. Zur Einordnung blicken wir auf die sächsische Klosterlandschaft des Hochmittelalters, die mit dem Gebiet der 968 gegründeten Bistümer Merseburg, Naumburg und Meißen umschrieben werden kann. 38 Denn schaut man sich in der sächsischen und mitteldeutschen Klosterlandschaft des Hochmittelalters um, stellt man zweierlei fest: Chemnitz ist nicht nur das östlichste Benediktinerkloster, sondern auch das letzte Männerkloster, das auf die Regula sancti Benedicti verpflichtet wurde. Im BistumMerseburg bestanden nur zwei Benediktinerklös ter, nämlich die 1091 in Pegau an der Weißen Elster gegründete Gemeinschaft, 39 die erste Klostergründung östlich der Saale überhaupt, und das Kloster St. Peter am Bischofssitz Merseburg, das 1091 aus einem Kanonikerstift in ein benediktinisches Män nerkloster umgewandelt wurde. 40 Im Bistum Naumburg gab es drei Niederlassungen: am Bischofssitz das 1076 eingerichtete Benediktinerkloster St. Georg, das aus Kleinjena dorthin verlegt worden war, 41 in Bosau bei Zeitz ein Benediktinerkloster, das zwischen 1114 und 1118 entstanden war, 42 und in Bürgel, öst lich der Saale, das bereits erwähnte 1133 gegründete Kloster. 43 Die Gründung des Klosters Chemnitz steht also zeitlich am Ende einer langanhaltenden Welle der Gründung von Benedik tinerklöstern, die im deutschsprachigen Raum seit dem 8. Jahr hundert in großer Zahl – wohl weit über 200 – entstanden wa ren. 44 Von einem Benediktinerorden sollte man im hier zu be trachtenden Zeitraum noch nicht sprechen, denn es gab keine Ordensverfassung mit Generalkapiteln, Mutterklöstern, regelmä ßigen Visitationen und anderen Instrumenten, die die Einzel klöster in einem Verband zusammenschlossen. Das haben erst die Zisterzienser als ein Reformzweig des Benediktinerordens im 12. Jahrhundert geschaffen. 45 Einigendes Band der Benedik tinerklöster war die Ausrichtung auf die Regel des hl. Benedikt, die allerdings im Laufe des 11. Jahrhunderts durch verschiedene Reformzweige ergänzt wurde. Die Klosterreformen von Cluny, Gorze, Hirsau und anderen sind hier zu nennen. 46 Vor allem die Hirsauer Klosterreform hat die Benediktiner im römisch-deut schen Reich geprägt. Dieses Reformprogramm lässt sich in we nigen Worten so umschreiben: Im Inneren »strenge, alles Indi viduelle unterdrückende, den Alltag umfassend regelnde Klos terzucht«, in den äußeren Verhältnissen des Klosters der »Aus schluß eigenkirchlicher Fremdeinflüsse durch Laien oder Geist
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