Leseprobe

143 waren. Die Bedeutung dieser Zäsur für das Ordenswesen und damit nicht zuletzt für die Benediktiner wird dadurch deutlich, dass ein Anknüpfen an »alte« Traditionen auch nach dem Ende der napoleonischen Ära und der nicht zuletzt durch den Wiener Kongress 1814/15 bewirkten »Restauration« in den meisten Fällen nicht möglich war. Eine Neueinrichtung des benediktinischen Lebens in den Territorien des 1815 gegründeten Deutschen Bundes erfolgte gegen Ende der 1820er Jahre in Bayern auf Initiative von König Ludwig I. (1786–1868). DemWittelsbacher war eine Wiederbe­ lebung des Benediktinerordens in seinem Herrschaftsgebiet offensichtlich ein Anliegen, wenngleich er die damit verbunde­ nen Schwierigkeiten unterschätzte. Denn viele jener Mönche, die im Rahmen der Säkularisation aus ihren Klöstern vertrieben worden waren, zeigten insbesondere aufgrund der damit häufig einher gehenden wirtschaftlichen Unsicherheit keinerlei Bereit­ schaft mehr, in ein Kloster zurückzukehren. Erst ab den 1830er Jahren gelang es nach und nach, Klöster wiederzueröffnen. Die finanziellen Mittel für das erste dieser Klöster, die Abtei Metten, stellte Ludwig aus eigenem Vermögen zur Verfügung. 35 1858 bestätigte Papst Pius IX. (1792–1878) die Wiedereinrichtung der Bayerischen Benediktinerkongregation, 1889 erneuerte Papst Leo XIII. (1810–1903) die zwei in Österreich bestehenden Benediktinerkongregationen. Die Neubegründung des Benediktinerordens im Deutschen Bund im frühen 19. Jahrhundert war von einer strikten Trennung des geistlich-monastischen Lebens, mit Caritas und Seelsorge, vom weltlichen Dasein geprägt. Dies galt jedoch nicht für den Papst. Insbesondere Pius IX. wandte sich kritisch gegen alle Mo­ dernisierungstendenzen. Seine insgesamt konservativ-restaura­ tive politische Haltung resultierte aus einer antimodernistischen Sicht auf das Weltgeschehen, insbesondere auf den Kern der Katholischen Aufklärung. Unter seinem von 1846 bis 1878 lau­ fenden Pontifikat kam es unter anderem 1870 im Rahmen des 1869 begonnenen und 1870 auf unbestimmte Zeit vertagten Ersten Vatikanischen Konzils zur Erneuerung des päpstlichen Jurisdiktionsprimats, des Dogmas der päpstlichen Unfehlbarkeit sowie des Anspruchs auf die höchste theologische Lehrvoll­ macht. 36 Zugleich war das Pontifikat Pius IX. geprägt von bedeut­ samen Veränderungen nicht allein des Glaubens, sondern viel­ mehr auch der politischen Stellung des Papstes als weltlicher Herrscher über den Kirchenstaat, die durch die Besetzung Roms durch italienisches Militär im Herbst 1870 jedoch praktisch auf­ gehoben war. 37 Dies zeigte sich nicht zuletzt im Deutschen Bund bzw. nach 1871 im Deutschen Kaiserreich. Hatte es bis 1860 in diesem Raum außerhalb Bayerns bzw. des Habsburgerreichs keine Benedikinerabteien mehr gegeben, erfolgte 1861 mit tat­ kräftiger Unterstützung der konfessionell sehr engagierten Fürs­ tin Katharina von Hohenzollern-Sigmaringen (1817–1893) ein erster Wiederbelebungsversuch im preußischen Kleve. 1863 siedelten die Mönche nach Beuron im Kreis Sigmaringen über. Das 1868 zur Abtei ernannte Kloster Beuron firmierte zugleich als Leitkloster der seit den 1870er Jahren entstehenden Beu­ roner Kongregation, der heute 18 Männer- und Frauenklöster in Deutschland, Österreich, Südtirol und Dänemark angehören. Die Zeit der Wiederbelebung des benediktinischen Lebens im 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreich vollzog sich vor dem Hintergrund des in den 1870er Jahren zwischen Papst Pius IX. und dem Deutschen Kaiserreich geführten Kulturkampfs. 38 Der Konflikt führte zur Ausweisung aller auf preußischem Boden befindlichen Mönche und Nonnen und der Schließung ihrer Klöster aufgrund des am 3. Juni 1875 verkündeten Gesetzes zur Auflösung der geistlichen Orden (Klostergesetz). Erst 1887, nach der offiziellen Beilegung des Konflikts zwischen dem Reich und dem Vatikan, konnten die Ordensangehörigen zurückkehren. 1893 gelang dem Benediktinerorden mit der Anerkennung der Benediktinischen Konföderation durch Papst Leo XIII. die Ein­ richtung einer Dachorganisation des inzwischen weltweit agie­ renden Ordens mit einem Abtprimas an der Spitze. Das Päpstli­ che Athenaeum Sant’Anselmo in Rom dient seit 1888 als Haupt­ kloster und Universität des Benediktinerordens. Dennoch konnte die weltweite Betätigung des Ordens nicht darüber hinwegtäu­ schen, dass sich die Zahl der dem Orden zugehörigen Abteien deutlich verringert hatte und die in der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert existierenden Benediktinerklöster großteils Neugründungen waren, die nur wenige praktische Anknüpfungs­ punkte an die vorsäkulare Zeit besaßen. Wie in den meisten anderen Feldern des weltlichen Lebens, bildete der Erste Weltkrieg (1914–1918) den ersten schweren Einschnitt, den das 20. Jahrhundert für das Ordenswesen bereit­ hielt. Dazu zählten etwa die Einberufung von wehrpflichtigen Mönchen und Novizen zum Kriegsdienst 39 und die zeitweilige Umwidmung von Klöstern in Lazarette. In beiden Weltkriegen erlangte für gläubige deutsche Soldaten und ihre Angehörigen das im schweizerischen Kanton Schwyz gelegene Benediktiner­ kloster Einsiedeln eine besondere Bedeutung. Ihnen galt die Schwarze Madonna von Einsiedeln – eine spätgotische Gnaden­ statue und bekanntes Wallfahrtsziel – als Objekt der Fürbitte für die gesunde Heimkehr der im Kampf stehenden deutschen Sol­ daten. 40 Kirchen- bzw. ordenspolitisch erwies sich die Verkün­ dung des Codex Iuris Canonici (CIC) im Mai 1917 durch Papst Benedikt XV. (1854–1922) beispielsweise hinsichtlich der Rechtsstellung der Ordensgemeinschaften und der Pflichten ihrer Angehörigen als bedeutsam. 41 Der in den 1920er Jahren in der Weimarer Republik aufkom­ mende Nationalsozialismus stellte auch für den deutschen Zweig des Benediktinerordens eine spirituell-intellektuelle Her­ ausforderung dar. Während einige Repräsentanten des Ordens dem Nationalsozialismus als einigende Kraft im Verhältnis zwi­ schen Staat und Volk zunächst manches abgewinnen konnten und sich ihre Sicht erst im Fortgang der Ereignisse bis zum Aus­ bruch des Zweiten Weltkriegs 1939 wandelte, standen andere

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