Leseprobe

10 Gerade dreht Jürgen Böttcher einen neuen Film. Er sagt, der werde wohl sein letzter sein. Er hat noch keinen Titel, doch es geht um junge Menschen und die Kunst, um Mut und innere Freiheit, ästhetische Ideen und die Unabhängigkeit von herrschen- den Strukturen – wie schon 1961 in seinem ersten Film: »Drei von vielen«. Nur ganz anders. Weiter und enger zugleich. Und wie damals, als er von seinen Künstlerfreun- den erzählte, ist er auch jetzt wieder der Mentor, der Ermöglicher und zugleich der Dokumentarist. Denn als Filmer wie als Maler möchte er sich nur mit Dingen beschäftigen, die ihn im Inneren berühren. So schließt sich ein Kreis im Werk. Für den Regisseur Jürgen Böttcher und den Maler Strawalde hat alles, was er tat und tut, mit seiner eigenen Biografie zu tun, einer Geschichte, die er immer wie- der rekapituliert, an die er sich von wechselnden Berührungsorten aus erinnert und sie beschreibt, als wäre das Werk ohne diese Bindung gar nicht zu verstehen. Und vielleicht ist das auch so. Ein Lebenslauf als Werklauf, sedimentiert im Atelier, einer großen, hellen Etage im Osten Berlins, deren Fußboden mit Zeichnungen bedeckt ist und wo die noch bei ihm gebliebenen Bilder an den Möbeln, der Staffelei und den wenigen noch freien Wänden lehnen. Es sind beglückende Momente, die in diesem anscheinend geordneten Chaos aufscheinen, und sie bringen immer neue Einsich- ten. Strawalde kommentiert seine Werke nicht, selbstverständlich findet er sie gelungen, und manches Mal sieht er sie an, als entdecke er gerade einen kostbaren Schatz. Der Besucher kann dem folgen, entdeckt doch auch er immer Überraschen- des. Und während sich das Licht im Raum mit dem Tageslauf verändert, leben die Farben ihr immer anderes Leben. Seit mehr als 25 Jahren arbeitet Strawalde hier. Früher war diese Großzügig- keit schwieriger herzustellen. Lange Jahre stand seine bildkünstlerische Arbeit hin- ter der als Regisseur von Dokumentarfilmen zurück. Gänzlich unterbrochen war sie nie. Dabei hat Jürgen Böttcher in den frühen fünfziger Jahren die Akademie in Dres- den absolviert und wurde alsdann ein wichtiger Anreger, insbesondere für den Freundeskreis um Ralf Winkler, Peter Makolies, Peter Graf und Peter Herrmann, die Protagonisten aus »Drei von vielen«. Sie erinnerten sich später an ihre Treffen: »Jeder brachte mit, was er gerade gemacht hatte und wovon er dachte, es könnte vielleicht irgendwie ganz gut sein, eine Zeichnung oder ein Bild. Auch Schallplatten. Und darüber wurde dann gesprochen. Und wir bekamen Reproduktionen zu sehen – Picasso, aber auch die alten Meister, Giotto, Rembrandt, Cranach vor allen Din- gen ... Im Grunde war es damals kein Lehrer-Schüler-Verhältnis, sondern Freund- Matthias Flügge Essenzen von tausend Dingen

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