Leseprobe

13 konnte. Die Kunst wurde so zum Refugium und zur Gegenwelt einer bedrückenden Realität. Und deshalb hatte sie unbedingt autonom zu sein und keinem anderen Impuls zu folgen als der Vervollkommnung ihrer selbst. Das war ein eminent politi- scher Impuls. In den fünfziger Jahren hatte Strawalde mit Paraphrasen auf Giorgione, Rem- brandt, Picasso und andere seinen europäischen Standort malend definiert, gleich- sam als Grundlegung seines Aufbruchs. Hier war ein Künstler am Werk, für den Kunst aus Kunst kommt, der die eigene starke Erfahrung verinnerlicht hat und sie im innigsten Dialog mit den Großen des Metiers künstlerisch verarbeitete und wei- tergab. Für Strawalde sind diese Meister auch heute nicht Werbeträger einer muse- umsorientierten Kulturindustrie, sie sind im buchstäblichen Sinne seine Zeitgenos- sen. Das ist keine Frage kunsthistorischer Bildung, es ist eine Bedingung seiner künstlerischen Existenz. Strawaldes malerische Evokationen von Schönheit, Erotik, auch Harmonie und ihren Brüchen, sind, wie die leise Melancholie, die ihnen eigen ist, von tragi- schen Erfahrungen geprägt. Immer wieder hat der Künstler darauf hingewiesen, dass die Erlebnisse des Krieges, die Schrecken von Zerstörung und Sterben, die Initiation seiner künstlerischen Haltung bedeuten. Er hat gesagt, dass ihm »die Erlebnisse und Erfahrungen von vermeintlichem Frieden damals, Krieg, Tod, Schuld und schwerer aber befreiender Nachkriegszeit [...] die Wurzeln bedeuteten für die Tiefe des Traums von Leben und Kunst.« 5 Vor frühen Zeichnungen lässt sich diese Einsicht nachvollziehen. Strawalde teilt diese Erfahrung mit vielen seiner Generati- onsgefährten, aber bei kaum einem blieb sie derart präsent: Als Grundton derTrauer noch im kühlsten Ultramarin, im fein gebrochenen Weiß und erst recht in den von Umbra nach Karminrot changierenden Klängen einer sonoren Farbigkeit, die das Zentrum seiner Arbeit bildet. Doch ist das Werk darauf allein nicht festzulegen. Es ist zur Groteske ebenso fähig wie zur Ironie – auch dies sind Formen des Melancholischen. Sartre hat in seinem Tagebuch über die Traurigkeit geschrieben, sie sei »zu keinem unendlichen Wachstum fähig«, sie sei »unbegrenzt und endlich«. Dies könnten Schlüsselworte für Strawaldes Bildauffassung sein. Im unbegrenzten Ausschreiten der koloristi- schen und formalen Möglichkeiten innerhalb der Endlichkeit der Bilder öffnet sich ein bildnerischer Raum, in dem zwischen schwarzen und weißen, nahezu monochro- men Bildern die ganze Skala denkbarer Valeurs aufgespannt wird und zugleich die Stimmungslagen zwischen elegischer Sanftheit, aggressivem Duktus und lebensprühender Heiterkeit bruchlos ineinander übergehen. Es gab in Strawaldes Doppelexistenz als Filmemacher und Maler Phasen, in denen das eine oder das andere Medium in den Vordergrund trat. Und es gibt Gründe genug zu der Annahme, dass dies einer gegenseitigen Bereicherung der Ausdrucksformen, einer bildgewordenen Untersuchung des Sehens diente. Aus diesem Sehen und seiner Veränderung folgen Bilder, die in sich und aus sich über das Leben und seine Bindungen an Natur, Gesellschaft und Geschichte Mitteilung machen können. Die Neugier auf Menschen hält dieses Werk im Fluss. Und das ist nicht zuerst eine Frage des Abbildens. Auch Film bildet nicht ab, wiewohl er aus Abbildern konstruiert ist. Böttchers Filme setzen Erkenntnis nicht durch dokumen-

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