Leseprobe

21 Das neue Material Porzellan erweckte sicherlich schnell die Neugierde der unmittelbar in Dresden anwesenden Künstler. Bereits 1706 gelang es, erste Gefäßformen aus dem sogenannten Böttgersteinzeug, das aufgrund sei- ner Farbe und seiner Materialeigenschaften auch »Jaspisporzellan« oder »rotes Porzellan« genannt wurde, zu produzieren. 6 Figuren aus Böttgersteinzeug folgten ab 1709. 7 Diese ersten figürlichen Versuche waren Reproduktionen ostasiatischer Vorbilder, die vom König selbst aus seiner Sammlung an die Manufaktur geschickt wurden. 8 Es war eine Zeit des Experimentierens und des Austes- tens. 9 Modelle aus Keramik, Speckstein, 10 Buchsbaum, aus Metallen und Elfenbein wurden abgeformt und in der neuen Masse mit unterschiedlichem Erfolg ausge- führt. Zugleich drängte man nach einer eigenen Bild- sprache, die aus der heimischen Bildhauertradition kommen sollte. Böttger selbst forderte eine Bandbreite von verschiedenen Künstlern und Handwerkern für die Mitarbeit an der Manufaktur, darunter Bildhauer und Goldschmiede. 11 Ein Leiter der Gestaltung wurde zu- nächst in der Person des Hofgoldschmieds Johann Jakob Irminger gefunden, der ab 1710 Modelle lieferte. 12 Sein Formenschatz basierte allerdings auf den Traditionen der Goldschmiedekunst, was in den Gefäßapplikationen in Form von Masken, Löwenköpfen, Akanthusblättern und auch figürlichen Henkeln gut zu erkennen ist. 13 Weitere Künstler wie Glasschleifer oder auch der Hof­ lackierer Martin Schnell, der für die goldenen oder far- bigen Bemalungen sorgte, arbeiteten an der Veredelung der Gefäßoberflächen. 14 Die ersten Bildhauer, die sich mit der figürlichen Plastik auseinandersetzten, waren – neben den vielen Hand- werkern aus dem Umkreis der Dresdner Fayencemanu- faktur 15 – vor allem die Hofkünstler, die auch am Ausbau des Zwingers beteiligt waren. Commedia dell’arte in Böttgersteinzeug Zu den ersten Figuren in Böttgersteinzeug gehört eine kleine Serie von sechs Charakteren aus der italienischen Komödie, die in der Porzellanforschung kontrovers dis- kutiert wurde. Die Komödiantenfiguren Arlecchino , Pul­ cinella , Canterina , Brighella, Capitano und Pantalone (Abb. 1), die sich im Schlossmuseum Gotha befinden, 16 wurden zunächst alle Paul Heermann zugeschrieben, 17 dann Johann Joachim Kretzschmar. 18 Seit 1982 gilt die von Ingelore Menzhausen publizierte, jedoch nicht un- bestrittene These, 19 dass die Gothaer Komödiantenfigu- ren von drei verschiedenen Künstlerhänden stammen – und zwar jeweils zwei von Permoser ( Arlecchino und Pulcinella ), 20 Thomae ( Canterina und Brighella ) und Heermann ( Capitano und Pantalone ). 21 Menzhausens Vermutung, dass August der Starke »seine drei Bildhauer zu diesem künstlerischen Wettstreit herausforderte«, 22 ist ein reizvoller, aber nicht belegbarer Gedanke. Obwohl der Permoser-Biograf Sigfried Asche davon aus- ging, dass der Renommierteste der Dresdner Bildhauer sich nicht dem neuen Material zuwandte, 23 werden Per- moser doch vereinzelt Werke in Böttgersteinzeug zu­ gewiesen. Ingelore Menzhausen nahm an, dass es »wirk- lich ausgeschlossen [ist], daß Permoser, der genial und experimentierfreudig in allen Materialien arbeitete – vom Sandstein über Marmor bis zu Elfenbein, Holz und Ton – nicht auch diese Erfindung ausprobiert hätte«. 24 Während archivalische Beweise für die Arbeit Permosers an der Manufaktur fehlen, 25 ist der Hofbildhauer Benja- min Thomae in den Manufakturunterlagen belegt. 26 Der gelernte Kunsttischler war seit ungefähr 1700 bei Per- moser als Steinbildhauer tätig. 27 Ab 1709 hatte er einen offiziellen Arbeitsvertrag mit der Manufaktur. 28 Da er aber bereits zwei Jahre später zur zeitaufwendigen Mit- arbeit am Zwinger berufen wurde, war seine Tätigkeit für die Porzellan-Manufaktur stark eingeschränkt. 29 Figuren in Böttgersteinzeug werden ihm mitunter dennoch zu- schrieben. 30 Paul Heermann wird im Zusammenhang mit der Manufaktur 1708, und damit ein Jahr vor Thomae, zum ersten Mal erwähnt. Eine Urkunde aus diesem Jahr weist ihn als Modelleur für Meissen aus. 31 Die oben erwähnte Komödiantenserie wurde wohl vor 1712 hergestellt, da sie ansonsten wahrscheinlich auch Abb. 1 Statuette des Pantalone aus Meissener Böttgersteinzeug, wahrscheinlich Paul Heermann, 1710–1712, Gotha, Stiftung Schloss Friedenstein, Inv.-Nr. St 24f

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