Leseprobe
23 Konturen der Figuren und somit die individuelle Hand- schrift der Künstler zu verwischen drohte, wurde oft als möglicher Grund genannt. 44 Auch der Aspekt der Repro- duzierbarkeit kann hier angeführt werden. Vielleicht nutzten die Bildhauer bevorzugt das Böttgersteinzeug, weil es sich von Hand modellieren ließ und noch keine Formen nötig waren, wie sie für Produktion des Böttger- porzellans wichtig wurden. Einzig Benjamin Thomae wer- den auch Arbeiten in Böttgerporzellan zugeschrieben. 45 Vom Entwurf bis zum Brand: Figurenherstellung in Meißen Der Herstellungsprozess von Porzellan in der Meissener Manufaktur könnte weitere Gründe liefern. Dreher, For- mer, Bossierer, Verputzer und Modelleure gehörten zum »Weißen Corps« der Formgestaltung. Das »Weiße Corps« war für die Verarbeitung der Porzellanmasse im unge- brannten Zustand verantwortlich. 46 Sowohl Gefäßfor- men wie auch Figuren durchliefen hier die verschiedenen Stufen vom Entwurf bis zum Brand. Entwerfen nach grafischen und plastischen Vorlagen Da um 1720 der Bedarf an neuen Formen rasant anstieg, wurden 147 Kupferstiche an die Manufaktur geschickt. Die Hälfte davon war für die Former gedacht. 47 Diese konnten mit den Vorlagen jedoch nur wenig anfangen, denn sie waren auf plastische Modelle angewiesen, die sie in Gips abgießen und ausformen konnten. Vor allem in der Anfangsphase der Manufaktur bedienten sich deren Mitarbeiter der verschiedenen dreidimensionalen Kunstwerke – meist aus Silber, Keramik, Holz, Speck- stein, Traganth oder Elfenbein –, die sich in greifbarer Nähe befanden. Hier sei exemplarisch auf das Elfenbein- relief Judith mit dem Haupt des Holofernes von Francis van Bossuit verwiesen, 48 das von den Meissener Model- leuren direkt abgeformt wurde. Dieses Relief wurde mehr- fach vor 1711 in Böttgersteinzeug ausgeführt. 49 Grafiken wurden zwar in großer Zahl an die Manufaktur geliefert, aber für die Entwerfer der Manufaktur gewan- nen sie erst etwas später als die dreidimensionalen Vor- lagen entscheidende Bedeutung. 50 Grafische Vorlagen wie plastische Arbeiten sind unterschiedlich adaptiert worden. Manche Bildideen wurden nahezu wörtlich in das Medium des Porzellans übertragen, andere nur an- gedeutet. Teilweise übernahm man nur einzelne Ele- mente und ergänzte diese mit anderen Vorlagen oder eigenen Kompositionen. Elfenbeinwerke als Vorbild und Inspiration: Permosers Vier Jahreszeiten Die Verstrickungen und engen Verbindungen verschie- dener Kunstformen zeigen sich nicht allein durch The- menübernahmen, wie sie etwa zwischen Malerei und Skulptur bekannt sind, sondern auch in der Weitergabe von Motiven und Kompositionen innerhalb der Klein- plastik bis hin zum Porzellan. Man bediente sich gewis- sermaßen aus einem gemeinsamen ikonografischen Pool von Bildmotiven, die mehr oder weniger direkt rezipiert wurden. Die Grenzen zwischen Inspiration, Nachahmung und fast identischer Kopie verschwimmen dabei oft. 51 Permosers Elfenbeinstatuetten der Vier Jah reszeiten im Grünen Gewölbe zu Dresden scheinen ge- rade für das neue Material Porzellan eine besonders fruchtbare Quelle der Inspiration gewesen zu sein. Auch wenn Sigfried Asche davon ausging, dass Permoser selbst nie in Porzellan gearbeitet hat, schrieb er ihm doch den Titel »Vater des figürlichen Porzellans, auch wenn er nicht selbst schuf« 52 zu. Permosers Elfenbein- figuren sei »das Transitorische, die Zartgliedrigkeit und Grazie der späteren Porzellanfiguren schon eigen« 53 und sein Werk die »letzte Vorstufe zur Porzellanplastik«. 54 Die zahlreichen Nachahmungen seiner Elfenbeinwerke beweisen es. 55 Marjorie Trusted schrieb die klar sicht baren Verbindungen zwischen Permosers Elfenbein skulpturen und dem Medium Porzellan der räumlichen Nähe zur Porzellan-Manufaktur zu. 56 Exemplarisch sei hier die Elfenbeingruppe der Vier Jah reszeiten von Permoser angeführt, die der Künstler in drei Versionen schuf (Abb. 2): Eine befindet sich im Grünen Gewölbe, eine – seit 2016 wieder vereint – im Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig und eine, heute verschollene Reihe, befand sich in der Sammlung Ginori in Florenz. 57 Alle drei Versionen haben ihre Ent- sprechung in Porzellan gefunden. Die Vier Jahreszeiten aus der Sammlung Ginori wurden von der Porzellan-Manufaktur Doccia vor 1757 ausge-
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