Leseprobe
91 32 Bartholdus Gursalkawiz als alter Pilger Martin Engelbrecht (1684–1756) Augsburg, um 1710 (?) in: Il Callotto resuscitato oder Neu eingerichtetes Zwerchen Cabinet , Blatt 29 bezeichnet: Bartholdus Gursalkawiz aus Groß Pohlen | gebürthig, Unwürdiger Waldtbruder | auß Gallicien kommendt. | Ey schauth den armen Man[n], der also alt und blindt | Gleich wohl noch ohne hülff Ein jedes Wirtshauß findt | Ach! wie vill Eimer wein hat Er zu leib genom[m]en, | Biß er ein solchen Barth und diken Kopff bekom[m]en. Radierung (in braunem Pappband mit goldgeprägtem Titel) H.: 272 mm; B.: 172 mm (Platte) bzw. H.: 333 mm; B.: 197 mm (Blatt) Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. B 1748b/29 Literatur: Dresden 2000/2 , Kat.-Nr. 199 (mit weiter- führender Literatur) und Kat.-Nr. 207 (Exemplar des Il Callotto mit Wasserfarben koloriert, Inv.-Nr. B 1748c,2) und Kat.-Nr. 201i (Pilgerkostüm aus der Zwergenmaskerade zum höfischen Karneval in Dresden 1721); Kappel 2017 , Kat.-Nr. II.89. Das Kupferstich-Kabinett verwahrt einen großen Be- stand an sogenannten Zwergenfolgen unterschiedlichen Formats. Die Bände sind bereits im ersten Inventar von 1738 unter der Rubrik »Nains« aufgeführt und belegen das große Interesse Augusts des Starken an diesem Sujet. Das anonyme und undatierte Werk Il Callotto resuscitato, das im Kupferstich-Kabinett auch noch in einem kolorierten Exemplar vorhanden ist (Kat.-Nr. 35, 36), präsentiert auf 50 Blättern in figural durchsetzten Laub- und Bandelwerkrahmen männliche und weibliche Zwergenfiguren in grotesker Gestalt mit gereimten Bild- unterschriften, die von Martin Engelbrecht gestochen wurden. Terminus ante quem für die erste Auflage ist das Jahr 1711, da der Callotto zu diesem Zeitpunkt be- reits als Vorlage für die Gestaltung des Parks von Schloss Kukus/Kuks in Böhmen herangezogen wurde. Der Callotto resuscitato erfreute sich großer Popularität, erschien in mehrfachen Auflagen und wurde vielfältig genutzt. Doch der ergänzende Titel der Folge als Neu eingerichtetes Zwerchen Cabinet ist etwas irreführend, da die Zwerge fast nichts mit den Varie Figure Gobbi von Jacques Callot gemein haben. Der Callotto übte nicht nur auf das Druckmedium, son- dern auch auf andere künstlerische Gattungen eine er- staunliche Wirkung aus, wie Parkskulpturen oder Sta tuetten aus Elfenbein und Porzellan zeigen (Kat.-Nr. 33 – Kat.-Nr. 37). Für die Ausgestaltung höfischer Divertis- sements lieferten Vorlagen aus diesem Werk ebenfalls Inspirationen. So diente die Darstellung des Bartholdus Gursalkawiz als Anregung für die Verkleidung eines Pil- gers, in dessen Rolle ein Kind zur Zwergenmaskerade anlässlich des Karnevals am Dresdner Hof im Februar 1721 geschlüpft war. Unter den erhalten gebliebenen, teils mit angehefteten Stoffproben versehenen Kostüm- zeichnungen befindet sich auch jene für diesen Zwerg- pilger, dem ein Gewand aus brauner Seide zugedacht war. Diese Kostümentwürfe, erhalten im Hauptstaats archiv Dresden, verdeutlichen, wie man – im Sinne Cal- lots – mit einigem Geschick Kinder zu Zwergen »verwan- deln« konnte: Mit einem über den Kopf gezogenen Hut, ergänzt durch eine vor der Brust befestigte Gesichts- maske aus Pappmaché, erzielte man die gewünschten Körperproportionen. Allein acht Kostümentwürfe für Zwerge zum Karneval 1721 gehen auf Vorlagen aus dem Callotto resuscitato zurück, der sich im Besitz des Königs befand. Claudia Schnitzer/Dresden
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