Leseprobe
111 Eine eher traurige Rolle hatte der Pantalone zu spielen, denn er galt als raffsüchtig und geizig und zog als alter, betrogener Liebhaber stets den Kürzeren. Das an Büh- nenstücken und Festen reiche Hofleben in Florenz bot für Callot einen reichen Schatz an Inspirationen. Er hat die Theaterfiguren sehr genau beobachtet. Auf den in der Ausstellung gezeigten Blättern sieht man die drei hier genannten Typen in ihrer charakteristischen Kostü- mierung. Sie sind weit in den Vordergrund, bis fast an den Bildrand gerückt und zeigen selbstbewusst ihre Bühnenposen. Atmosphärisch stimmig wirkt das in je- weils kleinen Gruppen zusammengefasste Theaterpubli- kum, das wie ein Figurenfries den Mittelgrund der drei Radierungen füllt. Und der Hintergrund zeigt schließlich reale Theaterkulissen. Das Werk Jacques Callots im Dresdner Kupferstich-Kabi- nett gehört zum großen Teil dem alten Sammlungsbe- stand an und ist im Inventar von 1738 erwähnt. »Ließe sich künstlerische Wertschätzung in Zahlen ausdrücken, so wurde sie Callot in Dresden bereits im achtzehnten Jahrhundert in hohem Maße zuteil.« Jutta Kappel/Dresden 47 Pantalone wohl Paul Heermann (1673–1732) Dresden, um 1710 Elfenbein, Sockel: Holz H.: 11,9 cm (mit Sockel) Grünes Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. VI 179 Literatur: Rasmussen 1977 , Kat.-Nr. 209 (Figur des Pantalone aus Böttgersteinzeug im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe); Chilton 2001 , S. 50–52, 93–95, 163 f. (zum Thema der Commedia dell’arte in der Porzellankunst); Berlin 2001 , Kat.-Nr. 1–7 (zu Commedia dell’arte -Statuetten aus Böttgersteinzeug); Kappel 2002 , Kat.-Nr. 42; Kappel 2017 , Kat.-Nr. II.28. Im Figurenarsenal der Commedia dell’arte verkörperte der Pantalone den Typus des wohlhabenden Kaufmanns aus Venedig, der alt, kränklich und trotz seines Vermö- gens ein Geizhals war. Man erkennt ihn an seiner hage- ren, leicht gebeugten Gestalt, einem spitz zulaufenden Bart, manchmal einer Maske mit langer Nase vor dem Gesicht. Klar festgelegt ist seine Kleidung mit eng an- liegenden roten Hosen und einem schwarzen Umhang, wie die Porzellanstatuette von Peter Reinicke lebendig vor Augen führt (Kat.-Nr. 48). Im Bühnengeschehen galt der gebildete Dottore als Gegenspieler des Pantalone . Da beide einander abgrundtief hassten, war aktionsreiche Turbulenz auf der Bühne garantiert. Darsteller der Commedia dell’arte zählten thematisch bereits von Anbeginn zum Fundus der Formen und De- kore der Meissener Porzellan-Manufaktur. Die Dresdner Hofbildhauer Balthasar Permoser, Benjamin Thomae und Paul Heermann entwarfen und modellierten 1710 bis spätestens 1712 Statuetten für eine Commedia dell’arte -Serie aus rotbraunem, teilweise poliertem Böttgerstein- zeug. Eine Paul Heermann zugeschriebene Pantalone -Figur aus dieser frühen Meissener Folge befindet sich neben anderen in den Sammlungen von Schloss Frieden- stein in Gotha und im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Dieser Pantalone geht auf einen Kupferstich aus der Serie Mascerades von Robert Boissart von 1597 zurück (siehe Beitrag von Vanesse Sigalas in diesem Katalog). Diese Serie dürfte inspiriert worden sein durch die Be- rufung der Theatertruppe um Angelo Constantini (1654– 1729) an den Dresdner Hof. August der Starke lud mit Constantini bereits 1697 einen der berühmtesten Ver- treter der Commedia nach Dresden ein und beauftragte ihn mit der Gründung einer italienischen Bühnentruppe. Bei den aufwendig inszenierten Festlichkeiten aus Anlass des Besuchs des Königs von Dänemark 1709 in Dresden hatten Constantini und seine Leute einen ihrer legendär gewordenen Auftritte. Jutta Kappel/Dresden
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